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Kultur: Neokonservative, seid ihr alle da?

Stochern im Gesinnungsnebel: „Theater heute“ und „Texte zur Kunst“ entdecken in der Pop-Kultur ein neues deutsches Phänomen

Ein Gespenst geht wieder einmal um in Deutschland – oder wie soll man es deuten, wenn gleich zwei profilierte Kulturmagazine einen neuen Konservatismus heraufbeschwören? Im Jahrbuch von „Theater heute“ und in den seit 14 Jahren den linken Diskurs in Deutschland mitprägenden „Texten zur Kunst“ zeigt man sich besorgt über den Neokonservatismus – gerade in der Kultur.

„Die Leitplanken des Zeitgeists“ nennt Diedrich Diederichsen seinen zwölfseitigen Essay in „Theater heute“. Er denkt darin über den neokonservativen „Mainstream“ nach, der eine multikulturelle Vielfalt unterspült. Grund für den Rechtsruck im „Hauptstrom der Kultur“ seien, so der Poptheoretiker, die Umbaumaßnahmen der deutschen Gesellschaft – Agenda 2010, Hartz IV, Eliteuniversitäten. Ihnen fehle der „Überbau“. „Eine klassische Lösung ist die meistpropagierte: Der Umbau muss ein Rückbau sein.“ Meist wird er nur charakterisiert durch das Datum, vor das man zurückwill – in der Regel 1968. Minimalkonsens: die alte Familie und neue Eliten, darüber hinaus gerne auch Deluxe-Erweiterungen wie Nation, Religion, Preußen, Kanon („Unsere Besten!“). Die im Titel des Essays angesprochenen Leitplanken, die den Zeitgeist verengen und begradigen, sind nichts anderes als die Rekonstruktion konservativer Themen und Befindlichkeiten – mit dem Zweck, den Sozialabbau einzurahmen.

Auch „Texte zur Kunst“ (www.textezurkunst.de), das früher in Köln, seit vier Jahren in Berlin ansässige Theorie- und Kunstmagazin, spekuliert in einem Themenheft über den Neokonservatismus. Worum es sich genau handelt, wird nicht klar. In der einleitenden Gesprächsrunde funktioniert Diederichsens Strategie nicht, ein weit gefächertes Phänomen als „Mainstream“ darzustellen. Stattdessen zerbrechen sich hier sieben „Vetreter/innen aus Kunst, Musik und Theorie“ den Kopf, Ross und Reiter zu nennen.

Offenbar steht dem die geschickte Mimikry der neuen Konservativen an die Popkultur entgegen - die ihrerseits unendlich zersplittert ist. Tobias Rapp, Kulturredakteur der „taz“, erklärt etwa: „Die Neokons, so wie ich sie wahrnehme, sind keine einheitliche Gruppe mit einheitlichen Positionen. Florian Illies hat eine andere Agenda als Joachim Bessing und Eckhart Nickel, die unterscheiden sich wiederum von Ulf Poschardt.“ Im nuancierten Kultivieren anti-linker Ansichten, könnte man das Gespräch zusammenfassen, ist es unmöglich, eine politische Stoßrichtung auszumachen. Zwischen „Konservatismus alter Prägung“, „Neopopulismus“ und „Neoromantik“ mäandern die Neokons durch die Kulturlandschaft.

Sowohl Diederichsens Essay, der sich mit fast allem auseinandersetzt, was unter dem Stichwort Mainstream denkbar ist, sogar mit dem „linken Mainstream-Produkt“ Michael Moore, als auch die Analysen, die sich neben der Gesprächsrunde in „Texte zur Kunst“ finden (in denen unter anderem der Historiker Paul Nolte und das Popkultur-Magazins „Spex“ unter die Lupe genommen werden) machen deutlich: Der Begriff Neokonservatismus muss erst mit empirischen Inhalten gefüllt werden.

Kein Grund, die Debatte als grundsätzlich schimärenhaft abzutun – es sei denn, man kommt zu dem Schluss, es handle sich bei dem „Anti-Links“-Diskurs nur um eine auf dem Wunsch nach Distinktion aufbauende Attitüde. Dann hätte Schaubühnen-Intendant Thomas Ostermeier Recht, der intellektuelle Vorlieben unter dem Vorzeichen ihrer Marktorientierung sieht: „Die gleichen Leute, die früher die Jugend als Wert an sich erkannten, erkennen heute das Alter als Wert an sich. Es bleibt ihnen auch nichts anderes übrig, wenn sie weiter oben bleiben wollen.“

Nadja Geer

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