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Kultur: Netz & Nische

Die Strategien von Wissenschaftsverlagen

Von Gregor Dotzauer

Was ist eigentlich passiert? Oder vielmehr: Ist überhaupt etwas passiert? Die geplante Verlagerung des Brockhaus-Lexikons ins Internet hat hohen Symbolwert. Als überfällige Konsequenz einer Entwicklung, die den bezahlten Brockhaus-Experten durch den unentgeltlich in einer Schwarmintelligenzwolke mitschwimmenden Wikipedia-Autor verdrängt, ist sie eine ökonomische Selbstverständlichkeit. Ein altes Geschäftsmodell hat ausgedient, ein neues muss gefunden werden.

Die kulturelle Frage ist nur, ob damit eine ganze Epoche an ihr Ende kommt: Was bedeutet die Verschiebung von Formen harten, wissenschaftlich sanktionierten Wissens, wie man es in gedruckten Lexikonartikeln erwartet, zu weicheren, populäreren Formen im Netz? Hat der Amerikaner Andrew Keen recht, wenn er in seinem Buch „The Cult of the Amateur“ erklärt, „How Today’s Internet is Killing Our Culture“?

Das Konversationslexikon ist ein Sonderfall. Als Träger von teils hochaktuellen Informationen, die gezielt abgefragt werden, ist es prädestiniert dazu, einer trägen Buchkultur entrissen zu werden. Andere Bereiche sind längst wirtschaftlich erfolgreich ausgegliedert worden – ohne dass man um die Inhalte bangen müsste.

Joachim Engellund, beim Berliner Wissenschaftsverlag Walter de Gruyter verantwortlich für Business Development Online, sorgt sich daher weniger um die Zukunft seines Hauses und der Wissenschaften als um diejenige des gedruckten Buches. Seine Bedeutung, so prognostiziert er, werde mehr und mehr zurückgehen – wobei er vor allem von „hardcore scholarly content“ spricht.

Das wissenschaftliche Buch, glaubt er, wird künftig vor allem eine Archivfunktion erfüllen und der psychologischen Beruhigung des Bibliothekars bei seiner Angst vor Datenverlusten dienen. Zugleich werde es seine Rolle als Teil eines Lebensstils behalten: Kein Lesegerät wird jemals so angenehm sein wie ein Buch, das man mit ins Bett nimmt. Engellund sieht aber sehr wohl, wie das Internet ein eklektisches Arbeiten mit trüben Quellen befördert und Marken wie Brockhaus die Verlässlichkeit ihres Wissens unter Beweis stellen müssen.

Die magische Formel lautet „Long Tail Strategy“. Erfunden hat sie Chris Anderson, der Chefredakteur des Techno-Lifestyle-Magazins „Wired“. Mit dem Untertitel „Why the Future of Business is Selling Less of More“ hat er sie inzwischen zu einem ganzen Buch ausgebaut, dessen deutsche Übersetzung (Hanser Wirtschaft, 260 Seiten, 19,90 €) nüchtern beschreibt, worin die Hoffnung liegt: „Nischenprodukte statt Massenmarkt“. Salopp gesagt: Auch Kleinvieh macht Mist – wenn nicht innerhalb weniger Jahre, dann innerhalb von Jahrzehnten. Datenbanken sind geduldig.

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