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Kultur: Neue Thesen zum Original als Kunst der Kopie

Durch Ermittlungen der Polizei entdeckte die Kunstwelt letztes Jahr ein strategisches Meisterstück, das institutionskritische Konzeptkünstler in stille Andacht versetzte. Der Londoner Kunsthändler John Drewe hatte jahrelang gefälschte Kunst an renommierte Sammlungen verkauft und rechtzeitig gefälschte Urkunden in die entsprechenden Archive geschmuggelt.

Durch Ermittlungen der Polizei entdeckte die Kunstwelt letztes Jahr ein strategisches Meisterstück, das institutionskritische Konzeptkünstler in stille Andacht versetzte. Der Londoner Kunsthändler John Drewe hatte jahrelang gefälschte Kunst an renommierte Sammlungen verkauft und rechtzeitig gefälschte Urkunden in die entsprechenden Archive geschmuggelt. Eine solche Erweiterung auch der Akten der Kunstgeschichte war bis dahin keinem Fälscher so profitabel gelungen. Jenseits der Rechtsfrage beleuchtet diese doppelte Buchführung auch das Kontrollsystem zum Schutz des Orginals, auf dem der Wert am Markt beruht. Doch auch der schönste Schein unterliegt der Inflation. Der Künstler und Kritiker Stefan Römer schlägt nun eine kunstkritische Lesart für "Fälschungen" vor und folgt den Werkgedanken von Louise Lawler, Sherrie Levine und Guillaume Bijl. Sie alle haben Varianten einer neuen Zuschreibung von angeeigneten Orginalen zum Prinzip ihres Kunst- und Marktwerts gemacht. Profitorientierte Täuschungen oder Fälschungen im rechtlichen Sinne liegen nicht vor, denn als Künstler legen sie die Quellen offen.

Als Levine 1981 Walker Evans Fotoserie "Let us praise now famous Men" von 1936 unverändert abfotografierte und unter dem Titel "After Walker Evans" ausstellte, stand wie bei klassischen Fälschungen die Trias von Autorschaft, Handschrift und Orginalität auf dem Spiel. Kritiker wie Douglas Crimp, Rosalind Krauss oder Benjamin Buchloh witterten neues Terrain und nobilierten die bekannten, nun aber von einer Künstlerin reproduzierten Fotos zum genuinen Werk. Es thematisiere die Idee des Orginals als ideologisches Konstrukt, lautete ihr Hauptargument. Um Levine ihrerseits in den Rang einer signierfähigen Urheberin zu setzen, bedurfte es der Kritiker, die Levines Aneignungen öffentlich verhandelten und als zeitgenössische Kunst absegneten. Ohne die Kritik als Institution, so lässt sich Römers Argument verkürzen, würde Konzeptkunst demnach als absichtsvolles Trugbild erscheinen. Erst die öffentliche Diskussion schreibt ihr die Bedeutung zu, die in ihr lagert. Im Falle Levines zählte für die Kritiker der Akt der Aneignung und seine Differenz erzeugende Wirkung: eine zur Schau gestellte Beutekunst, die das so streng geschützte Copyright attackiert. Überdies kam der Sache zugute, dass es sich um eine Künstlerin handelte, die die "famous men" von Evans wie eine Trophäe öffentlich inszenierte. So verweisen Levines Raubkopien auf Walker Evans, der auf Lebensbilder der 30er Jahre in den USA verweist. Evans zeigt jedoch Bilder der Wirklichkeit, Levine nur noch Bilder von Bildern. Und noch mehr: Wenn nun Louise Lawler Levines Fotos von Evans als Ausstellungsinterieur dokumentiert, dann kreist das Medium um sich selbst, und in den Vordergrund schiebt sich die reagierende Künstlerin und ihr Zugriff.Stefan Römer: Fake als Orginal. Aica, Köln 1999, 48 Seiten, 17,80 Mark

Peter Herbstreuth

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