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Elegant waren nicht nur Frieda Grafes Gedanken über das Kino.

© Brinkmann & Bose

Neue Übersetzungen von Frieda Grafe: Ihre klugen Gedanken zum Film lohnen sich noch heute

Vor fast zwanzig Jahren starb Filmkritikerin Frieda Grafe. Ihre Texte zum Kino waren tief und leicht zugleich. Nun sind neue Übersetzungen erschienen.

Mit ihrer lässigen Ponyfrisur und einer dunkel gerandeten Brille steht sie zwischen all den cinephilen Herren in ihren ordentlichen Anzügen. Bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen war das, 1964. Sehen kommt vor Meinungen, Schönheit vor Ideologie, das sagte einer von ihnen über die Filmkritikerin Frieda Grafe.

Jetzt ist in der Reihe „Archive außer sich“ des Berliner Harun-Farocki-Instituts die zweisprachige, elegant-erdbeerfarbene Druckschrift „Souvenirs, Ursprünge, Gefundene Fiktion“ erschienen, drei Grafe-Texte erstmals in englischer Übersetzung sowie eine Festrede von Harun Farocki.

Der Text „Souvenirs, zur Feier des Tages“ von 1995, zum 100. Geburtstag des Kinos, beginnt mit Frieda Grafes erstem Carepaket-Badeanzug aus erdbeerfarbenem Lurexgewebe und bewegt sich von da direkt zum Technicolor und Gene Kelly: dem befreienden Konsumsog des amerikanischen Kinos in der westdeutschen Nachkriegszeit. Gierige Augen.

„Da war plötzlich alles auf einmal da, mitzunehmen und nachzuholen. Das hinterließ Spuren in meinem Zeitgefühl und meinem (Kino-)Geschichtsbewusstsein. Es hat das Empfinden für Chronologie und Hierarchie nachhaltig gestört.“ Die Kinozeit einer nimmersatten Zuschauerin. Ein kluger Text, der um das Kino als Erinnerungsmotor kreist, tief und leicht zugleich.

Harun Farocki beschreibt in seiner Laudatio auf Frieda Grafe und ihren Partner Enno Patalas aus dem Jahr 2000 diesen besonderen Blick für das Kino: „An den Texten von Frieda Grafe ist zu erfahren, wie sie einen Film weder symptomatisch liest noch als Besitztitel bewertet, als Investition ansagt oder absagt, was der geläufige höfische Filmklatsch wäre. In ihren Texten erscheint der Film für sich .“ Knapp 20 Jahre nach dem Tod von Frieda Grafe kann man ihre Gedanken zum Film immer noch mit Mehrwert lesen.

Solidarische Kritik gegen Vereinfachungsfeminismus

In „Ursprünge“, erschienen in der „Süddeutschen Zeitung“, liest Grafe Ingemo Engströms Drama „Kampf um ein Kind“ (1975) quer zu vielen ihrer Zeitgenossen: im sachten Ton einer solidarischen Kritik am Vereinfachungsfeminismus. Über die Schemen weiblicher Kreativität und Geburtstechnokratie landet sie schließlich beim „Mann als Känguru“.

Schließlich ihr oft zitierter Text zum Essayfilm: „Der bessere Dokumentarfilm, die gefundene Fiktion“ von Anfang der Neunziger. In ihm verabschiedet sie gleichzeitig den gehobenen Ton und die verbrauchte Pädagogik des Essayfilms und damit auch dessen engstirnige Definition.

Und kommt über die Stimme zur Verquickung von Erfundenem und Dokumentiertem, das habe auch die Historiografie verändert. Wieder landen wir mit Frieda Grafe bei einem Denken, das an bewegte Bilder gebunden und durch diese provoziert ist.

Es ist überfällig, dass diese leuchtenden Texte – zwischen 2002 und 2008 als „Ausgewählte Schriften“ von Enno Patalas im Verlag Brinkmann & Bose in zwölf Bänden herausgegeben – endlich auch komplett auf Englisch verfügbar sind.

Die drei Texte auf 30 Seiten, in der Auswahl sehr unterschiedlich, sind ein Anfang. Joel Scott hat sie so brillant übersetzt, dass es eine erhellende Freude ist, hin- und herzublättern: Frieda Grafes Texte auf den Kopf und wieder auf die Füße zu stellen.

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