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Auf zur Spurensuche. Screenshots aus „Gone Home“. Fotos: gonehomegame.com

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Neue Videospiele: Bitte schnüffle nicht herum

Wenn der Alltag regiert: Die beiden Videospiele "The Novelist" und "Gone Home" versuchen sich erfolgreich in der Kunst, Geschichten zu erzählen.

Was ist nur passiert? Als Kaitlin von einem einjährigen Europatrip in die USA zurückkehrt, findet sie ihr Elternhaus verlassen vor. Mühsam muss sie sich das Geschehene zusammenreimen. Spuren sind überall zu finden: in den verworrenen Notizen an der Korkwand des Pulp-Romane schreibenden Vaters; in den Briefen auf dem Nachttisch der Mutter; in den schwärmerischen Tagebucheinträgen der Schwester, die neben Konzerttickets und Musikkassetten verstreut in ihrem Zimmer liegen.

Wer „Gone Home“ spielt, schlüpft in Kaitlins Rolle. Wie „The Novelist“ wagt sich das Videogame an ein Porträt der amerikanischen Familie. Nur: Was in Film, Theater und Literatur längst zum Standard gehört, hat im hyperaktiv-eskapistischen Medium Videospiel die Aura des Experimentellen. Hier entfalten die Sorgen weißer Mittelständler plötzlich revolutionären Charme. Denn „Gone Home“ und „The Novelist“, kleine englischsprachige Produktionen von unabhängigen Entwicklern, fragen: Wie können Videogames Alltag erzählen?

Lonnie 94

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Der Spielaspekt tritt dabei hinter die Geschichte zurück: Es geht weniger um Geschicklichkeit als um das Erkunden und Verstehen einer narrativ zusammengehaltenen Welt. Noch der verstorbene Filmkritiker Roger Ebert behauptete: „Video games can never be art“. Ihr Selbstzweckhaftes, glaubte er, unterscheide sie grundsätzlich von Kunst. Doch manche Spiele erzählen komplexe Geschichten, die Tausende von Drehbuchseiten umfassen. Auch die Forschung weiß nicht recht, wie sie mit der Janusköpfigkeit des Mediums verfahren soll. Dabei betrachte die Wissenschaft Spiele zunächst als narratives Medium, vergleichbar dem Theater oder dem Film. Doch um die Jahrtausendwende gelangte man zu der Ansicht, Videospiele seien besser in einer eigenständigen Disziplin, der Ludologie, zu beschreiben. Natürlich, nicht alle Spiele haben etwas zu sagen. „Pac-Man“ handelt genauso wenig vom Kampf gegen die Pillensucht wie „Tetris“ das Psychogramm eines manischen Baumeisters ist. Doch „Gone Home“ will erzählen. Dafür spricht schon das ungewöhnliche Design: Keine Gegner, keine Kontrollpunkte, nicht einmal ein vorgegebenes Spielziel.

Die Familienmitglieder und ihre Sorgen lernen wir nur durch Aufzeichnungen kennen. Das Stöbern hat deshalb etwas Voyeuristisches. „Bitte, bitte schnüffle nicht herum, um herauszufinden, wo ich bin“, heißt es anfangs in einer Nachricht der Schwester an Kaitlin. Das hat den Reiz des Verbotenen. Doch das Erzählen folgt nicht linearen Pfaden. Der Spieler kann sich frei bewegen, er kann einzelne narrative Stränge ausblenden.

Wer im Keller, dem Symbol des Unterbewussten, nicht genau hinschaut, übersieht dann aber womöglich den Brief von Kaitlins Großvater, einem Literaturprofessor, an den Vater. „You can do better“ heißt es dort in Bezug auf dessen schriftstellerische Versuche. Dieses „You can do better“ findet sich auch groß auf der Korkwand im Schreibzimmer des Vaters. Seine düstersten Themen deutet „Gone Home“ nur an, so dass sie beim hastigen Durchlaufen des Anwesens leicht übersehen werden.

Familienidyll

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Der Medienwissenschaftler Henry Jenkins nennt diese Form von Erzählen im Raum „embedded storytelling“. Es gibt keinen offensichtlichen Handlungsfaden, das Haus selbst erzählt die Geschichte. „Die Spielwelt wird zu einer Art von Informationsort, ein Erinnerungsschloss“, sagt Jenkins. In „Gone Home“ wird das Erzählen selbst gespielt. Damit nutzt es klug die Eigenheiten des Mediums.

Wo die Beschränkungen liegen, zeigt sich in „The Novelist“, wo der Spieler nach Notizen der Protagonisten suchen muss. „The Novelist“ erzählt von Dan Kaplan, einem erfolglosen Autor, der in einem Strandhaus seine Schreibblockade überwinden will, doch ständig darauf achten muss, dass seine Frau sich nicht betrinkt oder der Sohn in der Schule versagt. Der Spieler übernimmt die Rolle eines Hausgeists und kann durch die Zimmer gleiten, den Gedanken der Figuren lauschen, und muss am Ende in Dans Ohr flüstern, wie dieser sich verhalten soll.

„The Novelist“ verbindet das Familienporträt mit dem Steuerungsgedanken. Der Spieler beeinflusst das Schicksal der Figuren und den Ausgang der Geschichte. Allerdings scheitert das Spiel an seinen Ambitionen. Zum einen, weil die Spielabschnitte monoton geraten und die Story selbst uninspiriert erzählt ist. Vor allem jedoch, weil die Handlung sich immer dem Spielerischen unterordnet: Hinweise müssen gesammelt werden, Bedürfnisse befriedigt, ein Ziel erreicht werden. Ein Privatleben als beamtisches Unvergnügen.

Der Ludologe Jesper Juul sagte einmal, das Narrativ störe die Eigenart des Spiels. Das gilt auch umgekehrt. „The Novelist“ und „Gone Home“ sind Wegmarken in der Geschichte des Mediums. Doch der Spieler bleibt Beobachter. Er kann sich die Rolle, die er übernehmen will, nicht aussuchen. Das wäre vielleicht der nächste Schritt.

Information und Download unter www.gonehomegame.com und www.thenovelistgame.com

Philipp Sickmann

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