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Michael Müller im Roten Rathaus.

© dpa

Neuer Berliner Kultursenator: Was die Freie Szene von Michael Müller erwartet

Kulturpolitisch ist der neue Regierende Michael Müller bislang nicht weiter aufgefallen. Nun amtiert er auch als Berliner Kultursenator und die Freie Szene erwartet viel: bezahlbare Ateliers, Mindesthonorare, City Tax.

Berlin bleibt Baustelle. Nicht zuletzt, was die Situation der Künstlerinnen und Künstler betrifft. Das sah Klaus Wowereit gegen Ende seiner Amtszeit als Regierender Bürgermeister und Kultursenator der Stadt nicht anders. Im Bilanz-Interview (Tagesspiegel vom 13.11.) brachte er ein paar der ungeklärten Fragen aufs Tapet, die dringend auf Antwort seines Nachfolgers Michael Müller warten: „Wie erhalten wir bezahlbare Ateliers und Probenräume? Wo können wir rechtzeitig intervenieren, Gebäude zur Verfügung stellen oder erwerben?“ Die Freie Szene Berlins würde dem sicher nicht widersprechen. Zumal sie mit der Problemlage sogar schon ein bisschen länger befasst ist als die Kulturpolitik.

Wo sehen Initiativen und Plattformen der Freien Szene die derzeit größten Baustellen? Wie schätzen sie Müllers kulturpolitische Kompetenzen ein, was wünschen sie sich vom neuen Kultursenator? Was den Blick auf die eigene Situation betrifft, fällt das Ergebnis recht einhellig aus. Ob Rat für die Künste, Koalition der Freien Szene, die Initiativen „Haben und Brauchen“, „Stadtneudenken“ oder das Atelierprogramm: Die aktuelle Lage wird in grauen bis schwarzen Farben beschrieben, bei gleichzeitig ungewisser Zukunft.

„Es gibt leider weder eine stadt- noch eine kulturpolitische Vision, wie sich Berlin weiterentwickeln soll“, stellt Leonie Baumann fest, Mitbegründerin von „Stadtneudenken“ und Rektorin der Kunsthochschule Weißensee. „Dabei leben und arbeiten hier so unglaublich viele Expertinnen und Experten, die gerne ihr Wissen in diese Denkprozesse einbringen würden.“ Heidi Sill und Julia Lazars von „Haben und Brauchen“ formulieren es so: „Während künstlerische Arbeit für Stadtmarketing und Ökonomisierung der Kultur instrumentalisiert wird, steigen die Mieten, gehen Räume verloren.“ Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Berliner Kulturproduzentinnen, so Sill und Lazars, verschlechtern sich rasant. Ein Großteil der Tätigkeiten im Kulturbereich werde mit Honoraren unterhalb der Armutsgrenze vergütet.

Bezahlbare Ateliers und Kunststandorte in der Innenstadt

Berlins Atelierbeauftragter Florian Schmidt sieht die größte Herausforderung darin, überhaupt „Ateliers und Kunststandorte in der Innenstadt zu halten“. Zwar könne auch außerhalb des S-BahnRings zunehmend Interessantes entstehen. Aber wenn Produzieren und Präsentieren im Zentrum nicht mehr möglich ist, verliert „die Stadt ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal“, fürchtet Schmidt. Prekarisierung, Verdrängung und Vernachlässigung – Müller erbt eine Szene im Zustand der fortgeschrittenen Unzufriedenheit.

Andreas Altenhof, Sprecher des Rates für die Künste, fordert eine Erneuerung der Kulturfinanzierung. Das jetzige Procedere hält er für veraltet. Zentrale Produktionsorte wie die Sophiensäle verfügen nicht über einen eigenen Produktionsetat. „Das macht sie abhängig von dem Geld, das die eingeladenen Gruppen wiederum bei Dritten beantragen – wie soll man so planen?“, fragt Altenhof. Etablierte Festivals wie das Literaturfestival, Tanz im August, der Internationale Monat der Fotografie, die Transmediale oder 48 h Neukölln müssen ihre Mittel jedes Jahr neu beantragen. „Was sie im Wettbewerb mit internationalen Partnern schwächt und Kooperationen unmöglich macht.“ Zudem blockierten einige von ihnen Mittel des Hauptstadtkulturfonds, die eigentlich für andere Projekte gedacht seien.

Kulturpolitisch ist Michael Müller ein Quereinsteiger

Hat Müller das Zeug zum Reformer, der die Missstände angeht? Der Mann mit dem offenen Ohr? „Kulturpolitisch ist er ein Quereinsteiger“, stellt der Sprecherkreis der Koalition der Freien Szene fest. „Das muss aber nicht heißen, dass er ein schlechter Kultursenator ist.“ Als Mann von außen, mit Fachkenntnis in der Stadtentwicklung, könne er neue Akzente setzen. Vorausgesetzt, er nimmt sich der „Defizite in der Kulturförderung an, ist gesprächsbereit und an einer Zusammenarbeit interessiert“.

Weniger optimistisch zeigt sich die Initiative „Haben und Brauchen“. Zur Kultur habe man von Müller bislang „nur sehr globale Aussagen“ gehört. Julia Lazarus und Heidi Sill sehen die Kombination von Bürgermeister- und Kultursenatorenamt ohnehin kritisch, sie wünschen sich wieder ein eigenständiges Kulturressort, wie es bis 2006 existierte. Auch wenn das zur Zeit, mitten in der Legislaturperiode, wohl nicht realisierbar ist, gehören Kultur und Stadtentwicklung in ihren Augen zusammen. Leonie Baumann fasst es noch weiter und möchte Kultur „als Querschnittsaufgabe mit Überschneidungen in fast alle anderen Senatsbereiche“ verstanden wissen. Dass Müller vorher Stadtentwicklungssenator war, kann da schon mal nicht schaden.

Mindesthonorare und City Tax

Und die konkreten Wünsche an Müllers Adresse? „Es gibt für die vielen Baustellen bereits gute Konzepte der verschiedenen Initiativen“, stellt Andreas Altenhof zu Recht fest. Rat für die Künste und Koalition der freien Szene haben Ideen für die Kulturförderung eingebracht, „Stadtneudenken“ eine andere Liegenschaftspolitik skizziert. „Was fehlt, ist die Umsetzung durch die Politik.“ Müller soll „den Ausverkauf der Liegenschaften stoppen, durch Tausch wieder attraktive Areale zurück in öffentliches Eigentum überführen und den Bund dazu überreden, es ihm in Bezug auf die Bundesliegenschaften in Berlin gleichzutun“, fordert Leonie Baumann. Die Koalition der Freien Szene regt – neben einer grundsätzlichen Aufstockung des Kulturetats – eine Art Sofortprogramm bei der Verabschiedung des nächsten Haushalts an. Sie verlangt Honoraruntergrenzen in den Darstellenden Künsten, eine Erhöhung der Projektfördermittel für Musik, eine erweiterte nachhaltige Förderung von Konzertreihen und Musikfestivals – um nur ein paar Punkte zu nennen.

Dass die vom Rat für die Künste erfundene City Tax vor allem der Kultur zukommen soll – diese Forderung stellt die Szene auch weiterhin unisono. „Da waren sich 2013 schon mal Politiker wie Künstler einig!“, erinnert Andreas Altenhof. In die Tat umgesetzt wurde die Idee bis heute nicht.

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