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Momente von bestürzender Verlorenheit: Matt Damon als von Trauernden verfolgter Hellseher George Lonegan.

© Warner Bros. Ent. / dapd

Neuer Clint-Eastwood-Film: Wenn die Toten zu uns sprechen

Hochsensibler Hokuspokus: Clint Eastwoods erkundet in „Hereafter“ das Jenseits in drei Episoden. Neben Szenen von peinigender Überdeutlichkeit gibt es dabei auch immer wieder umwerfende Kinoaugenblicke.

Wenn das Kino Nahtod-Erfahrungen inszeniert, dann hat es dafür eine weitgehend vereinheitlichte Ikonografie: Der Sterbende sieht einen Film. Schnell geschnittene, unscharfe, überbelichtete Bilder sollen jenen Zeitraffer visualisieren, in dem das Leben in seinen wichtigsten Momenten noch einmal vorüberzieht. Dann das Ritardando im Tanz der Erinnerungsbilder, das Weiß nimmt überhand – und Rettung naht in letzter Sekunde.

Clint Eastwood variiert diese Konvention in „Hereafter“: Die Bilder frieren schon früh auf ein einziges ein, auf dem sich wenige Personen abzeichnen wie auf einem flimmernden, schimmernden Polaroid. Dieser Abzug des Unbewussten, sich fokussierend auf ein Rätselbild, verfolgt die dem Tode Entronnenen wie eine Obsession. Und Angehörige können, sofern ein Hellseher behilflich ist, angesichts dieser Bilder sogar – hokuspokus! – mit Verstorbenen kommunizieren.

„Hereafter“ funktioniert selber genau so: wie ein zarter Spuk, mal äußerst suggestiv, oft aber auch an der Grenze zur Selbstauflösung. Drei Episoden von unterschiedlicher Faszination führt Eastwood zu einem globalen Kaleidoskop solcher Transzendenzerfahrungen zusammen. An der indonesischen Küste reißt ein Tsunami eine französische Journalistin, die auf einem Straßenmarkt Geschenke für die Kinder ihres Lebenspartners einkauft, fast in den Tod. In London verliert ein Zehnjähriger durch einen Verkehrsunfall seinen Zwillingsbruder und wird nach tränenreichem Abschied von seiner Junkie-Mutter in eine Pflegefamilie aufgenommen. Und in San Francisco rebelliert ein Mann gegen einen Fluch, den andere seine Gabe nennen: Indem er die Hand von Besuchern berührt, sieht er deren tote Eltern, Geschwister, Liebespartner und übersetzt ihre Botschaften aus dem Jenseits.

Es gibt keine stärkste Episode unter diesen dreien, die spät und umständlich und mit durchgetretenem Gefühlspedal zusammengeführt werden. Wohl aber finden sich, nach dem Drehbuch von Peter Morgan („Frost/Nixon“, „The Queen“), neben Szenen von peinigender Überdeutlichkeit immer wieder umwerfende Kinoaugenblicke, in denen die Schauspieler mit feinen Einsamkeitsetüden brillieren. Cécile de France spielt die TV-Moderatorin Marie Lelay, die durch die – grandios visualisierte – Schreckenserfahrung der entfesselten Meereswelle aus ihrer Rolle des engagierten PolitPromis gerissen wird. Frankie McLaren ist der kleine Marcus, plötzlich bruderseelenallein auf der Welt. Und vor allem Matt Damon, sonst oft so routiniert agierend, hat als von Trauernden verfolgter Hellseher George Lonegan ein paar Momente von bestürzender Verlorenheit.

Also: drei Szenen, die drittschönste zuerst. Wie George dem kleinen Marcus den Bruder heraufbeschwört und auf einmal in das Gesehene das trostreich Hinzuerfundene hineinzusprechen beginnt. Wie Marie bei einem Restaurantbesuch nur durch die sich windende Körpersprache ihres Freundes (Thierry Neuvic) errät, dass sie nicht nur ihren Job definitiv verloren hat, sondern auch als Geliebte ersetzt worden ist. Und wie der menschenscheue George, in einem Kochkurs zart umworben von seiner Zufallspartnerin (Bryce Dallas Howard) ihr beim ersten Date ein Trauma aus der Hand liest – und das fragile Glück dieses Anfangs geht in drei Wortwechseln kaputt.

In diesen wunderbar ökonomisch ausgespielten Szenen zeigt sich – und das mag für diesen Film locker genügen – Clint Eastwoods ganzes Genie. Ob der mittlerweile 80-Jährige mit „Hereafter“ womöglich einen Abgesang von tieferer Dimension anstimmt? Nicht doch, demnächst dreht er mit Leonardo DiCaprio ein Biopic über den legendären FBI-Chef Edgar Hoover. Wir befinden uns also mitten im Leben.

Zu sehen in: Cinemaxx, CineStars SonyCenter (OV) und Tegel, Colosseum, Cubix am Alex, Filmkunst 66, FT Friedrichshain, Kulturbrauerei und Neues Off (OmU)

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