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Der Unverwüstliche. 500 Wagner-Plastikpuppen des Künstlers Ottmar Hörl schmücken Bayreuth – zum 200. Geburtstag und rechtzeitig zum Festivalstart am 25. Juli.

© dpa

Neuerscheinungen zum Richard-Wagner-Jubiläum: Mythen und Minenfelder

"Von Debatten ist freundlichst abzusehen" - so baten Wolfgang und Wieland Wagner bei der Eröffnung der ersten Bayreuther Nachkriegsfestspiele. Heute ist das anders: 109 neue Bücher sind allein in Deutschland zum Jubiläum Richard Wagners erschienen. Ein Überblick.

Das Wagnerjahr wird nicht nur die Etats der Opernhäuser gnadenlos überstrapazieren. Auch manche Verlage werden Ausgaben abschreiben müssen, die sie getätigt haben, um mit dabei zu sein – in einer beispiellosen Materialschlacht, die um die Deutungshoheit des Wagner’schen Erbes tobt. Eine grobe Zählung der Neuerscheinungen zwischen Januar und Juni dieses Jahres fördert die sagenhafte Zahl von allein 109 deutschsprachigen Titeln zutage.

Viele Bücher, auch von prominenten Autoren verfasst, entpuppen sich bei einem zweiten Blick jedoch als neu zusammengestellte Essaybändchen und andernorts Zusammengerafftes. Zum 200. Geburtstag des meistverehrten und bestgehassten Komponisten der klassischen Welt will keiner mit leeren Händen dastehen. Dabei scheint die Mitteilungswut des Jubilars in seinen Traktaten und Briefen oft heillos auf die Autoren durchzuschlagen. Nicht immer tun sich dabei Welten auf, so wie es dem Bayreuther Meister allen menschlichen Schwächen zum Trotz letztlich gelang, und der kleinwüchsige Sachse zum Mythos wurde, dem man noch immer jene Festspiele ausrichtet, die er sich selbst zum Vermächtnis gestiftet hat.

Die unmittelbaren Erben selbst schweigen, wenn alle Welt über Richard spricht. Nike Wagner, die wortmächtigste und scharfsinnigste Nachfahrin, lässt lediglich eine Neuauflage ihrer alten Materialsammlung „Über Wagner“ zu (Reclam Verlag, 14 €). Katharina zeigt sich schon von der Grundlast an Jubelempfängen und Interviews als Bayreuther Festivalchefin umfassend genervt und muss beweisen, dass der neue „Ring“, den zunächst niemand inszenieren wollte, doch noch ein Höhepunkt des Wagnerjahrs werden kann.

Ein einziger Wagner-Spross durchbricht das Schweigen: Gottfried

Dafür melden sich Menschen aus ihrem Umfeld zu Wort, aktuelle oder geschasste Zuträger am Grünen Hügel. Ex-PR-Gehilfe Alexander Busche illustriert sein Büchlein „Mein Wagner – Auf Richards Spuren“ (Grebennikov Verlag, 16,90 €) mit sich und dem Jubilar als Doppelporträt, schließlich durfte er mal im Gartenhäuschen des Grünen Hügels logieren. Trotz seines kurzen Gastspiels bezeichnet Busche sein Verhältnis zu Katharina als „geschwisterlich“. Da hat einer nicht aufgegeben, doch noch adoptiert zu werden. Axel Brüggemann, der die Kinoübertragungen der Festspiele an der Seite der Urenkelin moderiert, will mit „Genie und Wahn. Die Lebensgeschichte des Richard Wagner“ (Beltz & Gelberg, 16,95 €) noch einmal neu erzählen. Dafür muss er mit „Sex and Crime“ würzen und dem Leser zeigen, wie nah er mit Frau Wagner rankommt ans Allerheiligste. Kostprobe: „Katharina sitzt in ihrem Büro im Festspielhaus. Ein Friseur macht ihr gerade die Haare.“

Ein Wagner-Spross durchbricht das Schweigen der Erben, es ist natürlich Gottfried Wagner. 1997 suchte er mit seiner herausgeschleuderten Abrechnung „Wer nicht mit dem Wolf heult“ eine letzte Annäherung an den noch lebenden Vater und Patriarchen Wolfgang Wagner. Jetzt ist der Übervater fällig. „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Richard Wagner – ein Minenfeld“ (Propyläen, 19,99 €) nennt Gottfried seinen Befreiungsschlag, der mit der Vernichtung des Bayreuther Ahnherrn globale Übel zu beseitigen hofft: „Wagners Weltanschauung, die sein Leben, seine Schriften und seine Opern prägt, ist meiner Meinung nach mit den Grundsätzen der menschlichen Ethik unvereinbar. Sie ist bestimmt von Rassismus, Frauenverachtung, Selbstvergötterung und Lebensverneinung.“

Für Gottfried steht fest: Richard war der Stichwortgeber derjenigen, die Unheil über Deutschland und Europa gebracht haben. Warum sich das alles ohne erkennbares Ringen auf die Seiten ergießt? Weil der Autor sich gleich Odysseus dem verhängnisvollen Locken der Sirene Wagner verschließt: All das finstere Unrecht, das 15 Stunden lang im „Ring“ zelebriert wird, befindet Gottfried, „können ein paar süßliche Klänge schwerlich ungeschehen machen“. Am ehesten noch möchte man diesem haltlosen Nachfahren Wagners bei seiner Einschätzung der aktuellen Festspiele beipflichten: „trostlos“.

Wagner hat seinen Figuren "antisemitische Codes" einkomponiert, glaubt Jens Malte Fischer

Was ist Richards Erbe? Und ist es tatsächlich verflucht wie der Ring in der Nibelungen-Tetralogie? Der Theaterwissenschaftler Jens Malte Fischer begreift Wagner als Wunde und konstatiert, „dass kein Komponist der Musikgeschichte, keine schöpferische Potenz der Operngeschichte und des Musiktheaters bis heute eine solch sengende Strahlung (im Positiven wie im Negativen) aussendet wie Richard Wagner“. Das klingt so, als sei im Umgang mit ihm ein Schutz vonnöten, den man im mitunter abweisenden Schreibduktus von Fischers „Richard Wagner und seine Wirkung“ (Zsolnay, 19,90 €) erkennen könnte. Der Band versammelt Essays aus vergangenen Jahrzehnten und eine neue Einführung, die um Israels Boykott der Wagnermusik kreist.

Fischers Haltung ist deutlich anzumerken, dass er Wagners in zwei Versionen veröffentlichte Kampfschrift „Das Judentum in der Musik“ kommentiert herausgebracht hat. Danach kann man sich keiner Illusionen mehr darüber hingeben, wes Geistes Kind der Gesamtkunstwerker war. Wagner habe seinen Opernfiguren „antisemitische Codes“ einkomponiert, glaubt Fischer und fordert hier weitere Forschungen, „gründlich und grundsätzlich“. Als Kronzeugen seiner These ruft er Gustav Mahler auf, einen „Wagnerianer, der selbst jüdischer Herkunft war“. Zum Schluss des Buches dürfen sie sich dann sogar treffen, Wagner und Mahler. Man trennt sich heiter, offensichtlich kann Mahler seinen Frieden mit der Wirkungsmacht des Genies machen, der immer auch „ein Gran Gewalttätigkeit“ innewohnt. Fischers klugem Buch leider auch: Es verweigert sich in seiner kenntnisreichen Diskussion des Wagnergesangs unserer Gegenwart – und damit auch weitgehend einer leichten Nachprüfbarkeit durch den Leser.

Es sind die eingeführten Wagnerdeuter der Nation, die auch im Jubiläumsjahr Stellung beziehen. Das bestenfalls geraffte, bisweilen auch nur umgerührte Wissen erreicht dabei oft nicht die Schärfe vorausgegangener Publikationen. So auch bei dem Politologen Udo Bermbach, der mit „Blühendes Leid“ und „Der Wahn des Gesamtkunstwerks“ prägnante Beiträge zur Wirkungsgeschichte des Wagner’schen Schaffens lieferte. Sein „Mythos Wagner“ (Rowohlt Berlin, 19,95 €) geht darüber nicht hinaus, klingt aber feierlich: „In seinem Schaffen von einsamer Größe, in seinem Denken von folgenreicher Wirkung, in seinem Wollen von eindrucksvoller Stärke“, summiert Bermbach, entstand ein „Mythos, der nach Wagners Tod in den Mythos von Bayreuth fast nahtlos überging.“ Der Meister, der von sich gerne behauptete, freie Menschen schaffen zu wollen, fand seine Jünger.

Da verwundert es nicht, dass Wolfgang und Wieland bei der Neueröffnung Bayreuths 1951 darum baten, von „Debatten politischer Art auf dem Festspielhügel freundlichst absehen zu wollen“. Der aktuellen vierten Wagner-Generation bescheinigt Bermbach, kaum noch vom „mythischen Bonus des Stifters profitieren“ zu können.

Das schreckliche Geburtstagskind trachtet noch immer, alles hinwegzuschwemmen, was zum Wahn der Persönlichkeit gehört

Steht Bayreuth tatsächlich davor, normal zu werden? Dieter Borchmeyer versucht in seinem nüchtern „Richard Wagner. Werk, Leben, Zeit“ (Reclam, 22,95 €) betitelten Band, das (nur zu gerne inszenierte) Ineinander von Lebensgang und Schaffen zu entwirren. Es dürfte schwerfallen, befindet der Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, „in Wagners musikdramatischem Werk auch nur eine einzige autobiografische Reminiszenz dingfest zu machen“.

Folglich erzählt Borchmeyer Richard Wagners Werdegang entlang seiner Opern, liefert Analysen und zeigt Rezeptionen auf. Das fußt auf der profunden Kenntnis der Literatur wie Wagners Schriften selbst und bewegt sich angenehm unaufgeregt an der Grenze zum gerade noch leicht Lesbaren.

Natürlich gibt es noch viel mehr: Wagner aus der Sicht seiner Hunde, Wagner und sein Verhältnis zu isländischen Sagen, mitteldeutsche Fremdenverkehrswerbung mit Jubilar. Friedrich Dieckmann legt Wagner wegen seiner übergroßen Schwesternliebe gekonnt auf die Coach („Das Liebesverbot und die Revolution“, Insel Verlag, 22,95 €), während der Musikwissenschaftler Martin Geck nicht Wagner auf die Schliche kommen will, „sondern mir selbst und meiner Zeit“ („Richard Wagner“, Siedler, 24,99 €). Es geht bei diesem großen Ausstoß auch manches voll daneben – wie Joachim Köhlers Anthologie „Der lachende Wagner“ (Heyne, 18,99 €), die furchtbar unlustig ist und wenig fruchtbar dazu.

Die Ohren dagegen können wunderbare Klassiker neu hören: Ulrich Noethen hat Martin Gregor-Dellins epochale Biografie „Richard Wagner. Sein Leben. Sein Werk. Sein Jahrhundert“ behutsam als Hörbuch auf 15 CDs eingelesen (Osterwold Audio). Der Hörverlag legt „Tristan und Isolde“ in Furtwänglers Einspielung von 1952, stupend kommentiert von Peter Wapnewski, als 6-CD-Box neu auf. Das schönste Geschenk wird zuletzt ausgepackt: Der Fotoband „Richard Wagner: Schauplätze, Bilder und Briefe“ von A.T. Schaefer (B. Kühlen Verlag, 79 €) führt an die Orte, an denen der unstete Wagner gelebt und gearbeitet hat. Dazu sind sorgsam Briefe ausgewählt, die der Leser als Faksimile und in kommentierter Form auf den Knien hält. Schaefers meisterhafte Bildkompositionen setzen einen stillen Kontrapunkt zu Wagners Rauschmusik, mit der das schreckliche Geburtstagskind noch immer alles hinwegzuschwemmen trachtet, „was zum Wahn der Persönlichkeit gehört, und nur den wunderbar erhabenen Seufzer des Ohnmachtsbekenntnisses“ für uns übrig lassen will.

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