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Auf Sendung. Regisseurin und Schauspielerin Idil Üner hat ein japanisches Stück adaptiert, das im Radiostudio spielt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Neues von Idil Üner: Deutsch mich nicht ein!

Hitbühne Ballhaus Naunynstraße: Seit der Wiedereröffnung wird die von der Theatermacherin Shermin Langhoff geleitete Hinterhofbühne hervorragend angenommen. Jetzt hat Idil Üners Komödie "Funk is not dead" Premiere.

Die Autorin sitzt am Bühnenrand und guckt missmutig drein. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Das Hörspiel, mit dem sie einen Wettbewerb bei dem Radiosender „Deutschland im Funk“ gewonnen hatte, geht eigentlich doch ganz anders! Bei der Live-Ausstrahlung der Sonnenuntergangs-Schnulze „Schicksal der Liebe“ werfen die Sprecher aber einfach alles um. Das fängt damit an, dass die überdrehte Filmdiva Deniz Temkinli in dem Stück nicht Leyla heißen will: „Ich habe keine Lust mehr, Türkentussis zu spielen!“ Also benennt sie ihre Figur kurzerhand um – und verwandelt sie von einer unscheinbaren türkischen Animierdame in die toughe Staranwältin Tanja Schubert aus Berlin-Mitte. Und ihr Sprecherkollege, der ambitionierte Jungschauspieler Ismail Ölmez, hat keine Lust, einen Bosporus-Fischer zu spielen. Und macht seine Figur, mitten in der Live-Sendung, zu dem coolen Piloten James McDonald. Auch die anderen Sprecherkollegen geben ihren Senf dazu, weswegen das Stück schnell nicht mehr in Istanbul, sondern – unter anderem – in Frankfurt an der Oder spielt.

Wortwitz, wehende Perücken und sympathisch überdrehte Schauspieler in der Mikrofonkabine – die Stück-im-Stück-Komödie „Funk is not dead“ hat am Mittwoch um 20 Uhr im Ballhaus Naunynstraße Premiere. Die Regisseurin Idil Üner hat den Abend zusammen mit dem Ballhaus-Chefdramaturgen Tunçay Kulaoglu entwickelt, ihre Bearbeitung basiert auf dem Film „Radio No Jikan“ (1997) von Koki Mitani, beziehungsweise auf den deutschen Untertiteln der japanischen Vorlage. So wie darin das Hörspieldrehbuch der japanischen Autorin mehr und mehr amerikanisiert wird, so wird in „Funk is not dead“ eine türkische Geschichte immer weiter deutschisiert – eine Versuchsanordnung, die als Satire auf die stetig vor sich hinköchelnde deutsche Integrationsdebatte lesbar ist und die außerdem die Eitelkeit und Oberflächlichkeit des Kulturbetriebs persifliert.

Das Stück beziehe sich auf einen Diskurs, „den ich seit 17 Jahren führe“, sagt Idil Üner. Die 39-Jährige sitzt am Ende eines Probentags im Kellercafé des Ballhauses und knabbert an einer Vollkornstulle, irgendwann muss sie ja mal was essen. Seit die Debatten über Parallelgesellschaften, Zwangsheiraten und Ehrenmorde verstärkt geführt würden, seien die meisten Geschichten in Kino und Fernsehen, in denen, so sagt Üner, „Migrationshintergründler“ mitspielen, ziemlich eindimensional. Denn: „Ich bin von Beruf Schauspielerin – und nicht Türkin.“

Nach ersten Engagements im türkischsprachigen Theater Tiyatrom in der Alten Jakobstraße studierte die gebürtige Steglitzerin an der Hochschule der Künste in Berlin. Schon während der Ausbildung spielte sie in Kino- und Fernsehfilmen, arbeitete später mit Fatih Akin zusammen („Gegen die Wand“), zuletzt war sie 2010 in Til Schweigers „Zweiohrküken“ im Kino zu sehen. Und im Ballhaus Naunynstraße stand sie bei dem Liederabend „Gazino Arabesk“ auf der Bühne.

Wie ihre Theaterfigur hat auch Idil Üner keine Lust, Türkentussis zu spielen – auch wenn sie das nicht so ausdrücken würde. In „Funk is not dead“ findet Üner ihre eigene Art, das Thema zu „verbraten“, wie sie sagt. Als Komödie! Sie habe kein problemschweres Stück machen, keine Lösungsvorschläge anbieten wollen. „Die Hauptsache ist, dass sich die Leute amüsieren“, sagt Üner. Wer lacht, versteht mehr.

Das neue Stück ist Üners dritte Regiearbeit im Theater, 2001 wurde ihr Kurzfilm „Die Liebenden vom Hotel von Osman“ mit dem Deutschen Kurzfilmpreis ausgezeichnet. Jetzt also das Ballhaus, eine fast selbstverständliche Station für sie. Schon als Teenager ist sie hier herumgeturnt, einmal hat sie die Kabarettgruppe „Knobi-Bonbon“ auf dem Klavier begleitet. Üners Mutter hatte in dem Kulturhaus jahrelang türkische Konzerte und Theaterstücke organisiert.

Eine schöne Kontinuität, schließlich ist das Ballhaus seit seiner Wiedereröffnung nach Umbau in der Spielzeit 2008/2009 ein Ort für „postmigrantisches Theater“. Die erfolgreichen Produktionen des Hauses – zuletzt etwa die Bildungssatire „Verrücktes Blut“ von Nurkan Erpulat oder die Orhan-Pamuk-Adaption „Schnee“ – kritisieren nicht an der Tatsache der Zuwanderung herum, sondern denken konstruktiv und neugierig über Leben und Zusammenleben sämtlicher „Hintergründler“ im Hier und Jetzt nach.

Seit der Wiedereröffnung wird die von der Theatermacherin Shermin Langhoff geleitete Hinterhofbühne hervorragend angenommen. Studierende und Kulturfans, aber auch die ganz normalen Leute aus dem Kiez kommen in den schönen Säulen- und Stucksaal aus dem 19. Jahrhundert. Das Haus sei praktisch immer ausverkauft, freut sich Pressesprecherin Nora Gores, die Auslastung liegt konstant bei rund 90 Prozent.

Idil Üners Auslastung liegt noch ein bisschen höher. Mit ihrem Mann, dem Schauspieler Laurens Walter, der übrigens auch in „Funk...“ dabei ist, hat Üner zwei kleine Töchter, eine vier Jahre, die andere acht Monate alt. Darum probt sie mit ihrer Truppe auch nur fünf Stunden am Tag, abends machen die Spieler alleine weiter. Es ist anstrengend, aber Üner sieht überraschend wenig erschöpft aus. „Als die Kinder noch nicht da waren, war ich wie ein Motor“, sagt sie. „Jetzt muss ich einen Gang zurückschalten.“ Ob ihr das gelingt? „Es muss gelingen. Das Adrenalin fließt und fließt.“ Auch auf der Bühne.

Die Premiere am Mittwoch ist ausverkauft. Wieder vom 14. bis 16. und vom 20. bis 23. Januar, jeweils um 20 Uhr.

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