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Kultur: "neugerriemschneider": Form follows form

"Uhren" nennt Pae White ihren Zyklus aus zwölf Wandobjekten in bunten Farben aus gefaltetem Papier, obwohl sie weder über Stunden noch Minuten aufgeklären. Zwar gibt es in der Regel Zeiger, manchmal auch Pendel und Gewichte, aber diese Elemente sind, anders als bei normalen Uhren, nicht notwendig.

"Uhren" nennt Pae White ihren Zyklus aus zwölf Wandobjekten in bunten Farben aus gefaltetem Papier, obwohl sie weder über Stunden noch Minuten aufgeklären. Zwar gibt es in der Regel Zeiger, manchmal auch Pendel und Gewichte, aber diese Elemente sind, anders als bei normalen Uhren, nicht notwendig. Falls sie überhaupt ein Laufwerk besitzen, funktioniert es mittels Batterie.

Mit der Zeit haben sie aber sehr wohl zu tun. Jede der Uhren steht für ein Tierkreiszeichen des Jahreszyklus. Und wenn auch die kleinen astrologischen Symbole nicht an jeder Uhr angebracht sind, so kann man doch Hinweise auf die Sternbilder entdecken: Der Schütze etwa bekommt eine Zielscheibe, der gelbliche Löwe hat einen roten Rachen, die Zwillinge bestehen aus zwei ineinander gesteckten Gehäusen, die in diesem Fall die Temperatur anzeigen. Der rote Widder schließlich erinnert mehr an einen Orgelprospekt. Tatsächlich spielt er alle 15 Minuten eine kleine Melodie.

Da die Uhrenobjekte nicht die Uhrzeit anzeigen, könnte man vermuten, dass es hier mehr um den Geist der Zeit geht, sozusagen den state of the art. Dessen Motto aber lautet spätestens seit den neunziger Jahren nicht mehr form follows function, sondern setzt allein auf Stil und Design. Es verwundert nicht, dass Pae White Anfang der neunziger Jahre an jenem Center College of Design in Pasadena studiert hat, wo seinerzeit der New Beetle für VW entworfen wurde. Wie bei Whites Uhren erfolgte auch diese Wiedergeburt nicht aus Gründen von Konstruktion oder Funktion. Konstruktiv hat der New Beetle nichts Neues zu bieten, fährt doch sein knuddeliges Blechkleid samt Blumenvase auf einem VW-Golf-Motor. Die Erfolgsgeschichte des New Beetle zeigte einmal mehr, dass Design imagebildend und damit zum wichtigen Merkmal eines Produkts geworden ist. Mit diesem Auto kauft man Lebensgefühl, Sixtiesfeeling, vielleicht auch ein Stück Jugend.

Die Kunst des Einrichtens

Pae White überträgt diese Verkaufsstrategie auf ihre Kunst. Der praktische Nutzen der Uhren geht gegen Null. Die Form bestimmt über die Bedeutung, der Gebrauchswert liegt allein im Ideellen. Das gilt ebenso für die anderen Objekte der Ausstellung (Preise auf Anfrage). Zusammengenommen als Einrichtung des Galerieraums wie als Einzelstück könnte man sie als Paraphrase auf kunstvolle Innenarchitektur verstehen. Das bunte, an über hundert Fäden von der Decke hängende Mobile dient ebenso als schicker Raumteiler, die orange Bodenarbeit aus Plexiglas wird in der Galerie zum Indoor-pool und selbst das hölzerne Tafelbild mit seinen Farbkreisen und Löchern geht als Wandschmuck durch, wie selbstverständlich auch die Uhren. Das gefällige Arrangement der Teile im Raum verstärkt noch diesen Eindruck des Interieur-Designs. Gleichwohl handelt es sich nicht um Gebrauchsgegenstände. Vom Möbel behält White nur eine einzige Funktion: die ästhetische.

Ein anderes Beispiel macht es noch deutlicher: Im Vorfeld der Ausstellung ließ die Galerie Pae White sechs Anzeigenseiten in der Londoner Kunstzeitschrift "frieze" gestalten. Whites erster veröffentlichter Entwurf ignorierte alle sonst üblichen Regeln, verzichtete auf jegliche schriftliche Information und brachte nur ein Bild, dessen bunte Kringel an das nun gezeigte Mobile erinnern. Diese kryptische Präsentation ohne Hinweise auf Adresse oder Künstlernamen brachte der Galerie im Nachhinein mehr Publicity, als es eine konventionelle Anzeige je vermocht hätte. In den nachfolgenden Heften von "frieze" tauchten dann die noch fehlenden Informationen auf. Allerdings sahen die von White konzipierten Seiten jedesmal vollkommen anders aus, verbindendend waren allein Gestaltungselemente der sechziger und siebziger Jahre.

Paradoxerweise gelingt es White gerade durch diese Variabilität unverwechselbar zu werden. Wenn in der Kunst inhaltlich alles erlaubt und ausgereizt ist, muss man offenbar anders vorgehen und auf Formen setzen, die überraschen und Aufmerksamkeit erzeugen. Dem strukturellen Gebot der künstlerischen Innovation scheint man mit dem Brechen formaler Konventionen heute besser zu genügen. Der Stil - nicht die Inhalte - erzeugt die distinguierte Erscheinung. Wer aber die Form zum Inhalt macht, hat style. Da ihn keine ideologischen Skrupel hemmen, kann er überdies flexibel auf den Wechsel der Moden und Kontexte reagieren, ja selbst im Auftrag anderer arbeiten. Pae White macht das vor.

Ronald Berg

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