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Szene aus dem Musical

© Verena Eidel

Neukölln-Musical: Marx macht mobil

Ironiegefedert und toll gespielt: „Klassenkampf – Das Musical“ im Heimathafen Neukölln.

Ob diese geradezu Freudsche Diagnose unter Neuköllner Pädagogen verbreitet ist? Rütli-Neid! Die Direktorin der Karl-Marx-Oberschule – eine resolute Schreckschraube mit ausgeprägten Karriere-Ambitionen – leidet jedenfalls sehr darunter. An ihrer Institution herrschen zwar auch beklagenswerte Zustände. Seit sieben Jahren ist das Gebäude eine halbe Baustelle, 87 Prozent der Schüler sind „ndH“ (nichtdeutscher Herkunft), Rüpeleien und Gewalt nehmen Überhand, kürzlich ist bei einem Störenfried sogar eine Waffe beschlagnahmt worden. Aber die war nicht mal geladen. Und überhaupt reicht das alles nicht zum Brandbrief, wie weiland an der berühmt-berüchtigten, nunmehr zum Prestige-Campus aufgehübschten Rütli-Schule. Kein Wunder, dass die Kuschel-Querelen an der Karl-Marx der zuständigen Schulrätin nur ein müdes Lächeln und 30 Förderstunden entlocken. So wird das nichts mit dem Migrantenskandal.

Die Hausmeisterin vermittelt den Kids Klassenbewusstsein

Und die Schüler? Denen stinkt der trostlos verwaltete Unterrichtsalltag schon lange. Besonders der Gruppe um Trotzkopf Samir, die im Zuge einer „Arbeit-statt-Strafe-Initiative“ (kurz ASI) zum Graffiti-Schrubben abkommandiert wurde und dem einzigen engagierten Kumpel-Lehrer die Gitarre zerdrischt. Die Kids haben nicht von ungefähr das Gefühl, vom System abgehängt zu sein. Aber noch fehlt das nötige Klassenbewusstsein. Das wird ihnen von der Hausmeisterin Frau Karl eingeimpft, einer prekarisierten Rentnerin mit DDR-Sozialisation und entsprechendem ideologischen Background. Durch die Wischmopp- Weise kommen Samir & Co auf die Idee, sich näher mit den Lehren ihres Schulnamensgebers auseinander zu setzen. Was prompt in revolutionäre Zustände und die Übernahme durch die Entrechteten mündet. Marx macht mobil!

„Klassenkampf“ heißt das Musical, das Constanze Behrends als Autorin und Regisseurin am Heimathafen Neukölln auf die Bühne gebracht hat, wo zuletzt schon ihre Komödie „Beziehungskiste“ Premiere hatte. Das neue Stück ist eine beschwingte Agit-Prop-Sause für die „Fack ju Göhte“-Ära, befeuert vom Grimm über die real existierenden sozialen Schieflagen und mit entsprechendem missionarischen Furor gerappt: „Wir sind euch scheißegal / unser Elend nur ne Zahl / im Sekretariat / jetzt kommt das Proletariat!“ Yeah Digger, ein Gespenst geht um an der Oberschule.

Es geht auch um Angst der Mittelklasse vor jugendlichen Migranten

Wobei die Message natürlich ironiegefedert kommt. Constanze Behrends, Miterfinderin der legendär langlebigen Sitcom „Gutes Wedding, Schlechtes Wedding“, ist ja viel zu sehr versierte Wirkungsmechanikerin und pfiffige Klischee-Jongleurin, um bierernste pädagogische Parolen unters Volk zu bringen. „Klassenkampf“ spielt (nicht unverwandt dem Nurkan-Erpulat-Hit „Verrücktes Blut“) vor allem mit dem Blick der Mehrheitssorgenbürger auf die vermeintlichen Migrantenlümmel. Zum Beispiel wird Aufstands-Anführer Samir (eine Entdeckung: Walid Al-Atiyat aus dem Heimathafen-Jugendclub Active Players NK) von einer sensationsgeilen Medienhyäne interviewt. Die lässt den (gerade leicht berauschten) Nachwuchskommunisten arglos Schlagwörter vom Zettel ablesen und schneidet daraus ein islamistisches Bedrohungsvideo zusammen: „Wir haben eine Bombe!“

„Klassenkampf“ ist ein schnörkellos spaßiges Spiel mit Zuschreibungen und Armutszeugnissen. Toll gespielt! Unter anderem von Romina Küper, die als Schülerin Rosa in der mit Abstand komischsten Szene eine Rede der Schuldirektorin (Constanze Behrends) in expressionistische Gebärden übersetzt, zwecks internationaler Verständlichkeit. Oder von Lodi Doumit, die als Freundin Gülcan das Abziehbild der ruppigen Göre mit weichem Kern gibt und heimlich Lehrer Schreiber (Tom-Veit Weber) anschmachtet, dieses Weißbrot. Auch die Songs zwischen HipHop und Polka von Tillmann von Kaler zu Lanzenheim sitzen. Gut möglich, dass diese marxistische Empowerment-Folklore in Neukölln eine Massenbewegung in Gang setzt.

nächste Vorstellungen am 8. und 9.4.

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