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Straßenkampf. Szene von den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua 2001.

© Julian Roeder

Neuköllner Galerie untersucht Proteste: Sturmmaske mit Stadtplan

Frauen während der Russischen Revolution, fliegende Pflastersteine bei G8-Gipfeln: Die Galerie im Körnerpark zeigt künstlerische Positionen zu Revolten und Revolutionen von Haron Farouki bis Julian Röder.

Dicke Rauchschwaden steigen in den blauen Himmel, während sich Menschen aus dem unteren Bildrand drängen. Einige Protestler haben sich nach rechts gewandt, andere streben nach links, einige tragen gelbe Plastikhelme, andere halten sich ihr T-Shirt vor Mund und Nase, um sich vor dem Qualm zu schützen. Schaut man genauer hin, meint man auf Julian Röders Fotografie auch Polizisten zu erkennen, die als dunkle Masse die Kreuzung abriegeln.

Röder hat Proteste gegen G8-Gipfel mit der Kamera dokumentiert. Mit seinem Foto, das die Rebellion in Genua von 2001 auf eine bizarr-ästhetische Weise zeigt, ist der Besucher der Galerie im Körnerpark als erstes konfrontiert. „Are you satisfied?“ fragt die Ausstellung zu Kunst und Revolution. Zehn Positionen nähern sich den Bedingungen von Protestbewegungen, ihren Mechanismen und Folgen.

Die Spannbreite der Schau, die von der Stadtgalerie Kiel übernommen wurde, ist groß. So wird die Rolle der Frau während der Russischen Revolution betrachtet, ein paar Schritte weiter geht es um das Training der französischen Polizei, dann um das Gemeinschaftsgefühl von Gruppen. Harun Farocki hat sich zusammen mit dem rumänischen Regisseur Andrei Ujica der rumänischen Revolution gewidmet. 1992 entstand ihr gemeinsamer, über 100-minütiger Found-Footage-Film mit Aufnahmen, die ein rumänischer Fernsehsender während des Sturzes von Diktator Nicolae Ceausescu ausstrahlte.

Polizisten beim Nickerchen

Eine weitere Fotografie von Julian Röder zeigt einen Protestler, den Stereotypen entsprechend samt Sturmmaske und Palästinenserschal. Mit Pflastersteinen ausgerüstet, verharrt er auf einem Zebrastreifen, während der Verkehr um ihn herum weiterfließt. Ist das etwa ein Stadtplan, in den er sich da vertieft? Er wirkt fast lachhaft in einer Umgebung, in der doch alles rundzulaufen scheint. Vielleicht ist es die dogmatische Selbstsicherheit so mancher Protestbewegung, die Röder hier aufspießt. Der Protest funktioniert bei ihm jedenfalls nur in der Masse – und die ist keinesfalls homogen. Auch die Polizisten, die mit ihren Helmen und Westen im Normalfall gesichtslos auftreten, werden bei ihm zu Individuen: Beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm hat er sie während eines Nickerchens unter einem großen Baum abgelichtet.

Bei dem 2003 gegründeten Künstlerkollektiv FAMED ist der Protest eine Hülle, die sich jede Gruppe überwerfen kann. Der Protest selbst ist inhaltslos. 2017 lud das Kollektiv 250 Gäste ins Leipziger Museum der bildenden Künste ein und forderte sie auf, ihm zu folgen und dabei Transparente hochzuhalten. „Thinking Space“ oder „Privileg der Umstände“ steht auf den Schildern, Titel von anderen Arbeiten des Kollektivs. Die Tafeln sind in der Schau als Videoaufnahmen zu sehen, gleichzeitig lehnen sie als Objekte im Ausstellungsraum an einem eisernen Gerüst. Die Revolution könnte jederzeit losbrechen – so wirkt es. FAMED lässt die Grenzen zwischen künstlerischer Aktion und Protestbewegung verschwimmen. Darüber hinaus wirft das Kollektiv die Frage nach dem Handlungsspielraum des Einzelnen innerhalb der Masse auf.

Viele starke Positionen

Bist du nun zufrieden? Die Ausstellung fordert den Besucher auf, sich selbst zu befragen. Doch geht sie auf Unzufriedenheit als Ausgangspunkt von Protest nicht weiter ein. Das fehlt. Vielleicht würde diese Facette auch den Rahmen sprengen. Schon jetzt vereint die Ausstellung viele starke Positionen, die eher auseinanderdriften, wie auch die Protestler auf Röders Fotografie. Schließlich ist es eine Bewegung, die dem Thema innewohnt.

Galerie im Körnerpark, Schierker Str. 8, bis 3. April; Mo bis So 10-20 Uhr

Helena Davenport

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