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Konservativ und experimentell: Nikolaj Medtner, ca. 1920.

© Medtner-Gesellschaft

Nikolaj Medtner: Der letzte Romantiker

Er wurde einst gefeiert wir Skrjabin und Rachmaninow. Doch heute ist der russische Komponist Nikolaj Medtner vergessen. Ein Festival will ihn zurückholen.

Die Idee zu diesem Festival wurde an einem Berliner Küchentisch geboren. Simon Moser, ein Kulturmanager aus dem Süddeutschen, war zu Gast bei der Pianistin Darya Dadykina und dem Pianisten Vasily Gvozdetsky, um ein Konzert in Baden- Baden zu besprechen, als ihm ein Notenband mit kyrillischen Buchstaben auffiel. Auf die Frage, um welchen Komponist es sich hier handele, spielten ihm seine Gastgeber gleich mehrere Werke von Werken Nikolaj Medtners vor. Moser war begeistert: Was er da hörte, war mit handwerklicher Souveränität geschrieben – und hatte eine große emotionale Tiefe.

Diese Werke müssten unbedingt ins Bewusstsein des Publikums zurückgeholt werden, darin waren sich die drei einig – und gründeten kurzentschlossen die „Internationale Medtner Gesellschaft“. Die sich jetzt in Berlin mit einem ersten Festival präsentiert, vom 29. Oktober bis 3. November, an acht verschiedenen Veranstaltungsorten, bei freiem Eintritt.

„Nikolaj Medtner ist für mich ein ganz besonderer Komponist, weil in ihm so viele Gegensätze, Widersprüche und Konflikte des 19. und 20. Jahrhunderts aufeinandertreffen“, sagt Vasily Gvozdetsky. Geboren 1880 in Moskau, wächst der Sohn eines Fabrikanten im Wohlstand auf. Die im 18. Jahrhundert aus Deutschland eingewanderte Familie ist zudem äußerst kunstaffin, Hausgötter sind Goethe und Beethoven. Der junge Nikolaj erweist sich als begabter Klavierspieler, studiert am Moskauer Konservatorium, entscheidet sich dann aber doch für die Komponistenlaufbahn.

Die Avantgarde seiner Zeit lehnt er ab

Er hat erste Erfolge, bildet bald mit Sergej Rachmaninow und Alexander Scriabin ein Dreigestirn russischer Tonsetzer. Die Ideen der Avantgarde seiner Zeit lehnt er vehement ab, stellt sich bewusst in eine Traditionslinie mit den Klassikern und Romantikern deutscher Prägung. Was bald manchen Hörer befremdet: „Während draußen ein neuer Staat aus dem blutgetränkten Boden geboren wurde, schrieb Medtner Pastoralen und Märchen!“, mokiert sich der ungarische Geiger Albert Jarosy 1920. Kurze Zeit später verlässt der Komponist seine nun kommunistisch regierte Heimat, lebt bis 1924 in Berlin, zieht dann nach Paris weiter, lässt sich schließlich in London nieder. Als Pianist erfährt er weltweit Wertschätzung, seine Kompositionen dagegen gelten als nostalgisch und aus der Zeit gefallen. 1947 begeistert sich immerhin ein indischer Maharadscha für Medtner, ermöglicht ihm, viele seiner Werke auf Schellackplatten einzuspielen. Nach seinem Tod 1951 aber gerät er dennoch völlig in Vergessenheit.

Das soll sich nun ändern. Aus heutiger Sicht betrachtet, macht gerade die Mischung deutscher und russischer Einflüsse den Reiz von Medtners Oeuvre aus, das neben 14 Klaviersonaten und Dutzenden von Charakterstücken auch über 100 Kunstlieder umfasst, Kammermusik sowie drei Konzerte für Klavier und Orchester. Denn in Wahrheit ist Medtner kein Weltflüchtling, der sich unreflektiert ans Gestrige klammert. Er sucht nie einfach nur die oberflächliche Schönheit, nein, er ist ein Poet, der sich von Literatur inspirieren lässt, frei mit Formen umgeht, wenn es ihm sinnvoll erscheint für die Geschichten ohne Worte, die er erzählen will.

Und der gleichzeitig an die Kraft des Kontrapunkts und der motivisch-thematischen Arbeit glaubt, an das von Beethoven zur höchsten Blüte gebrachte Prinzip, dass sich komplexe Stücke ganz organisch aus einer unscheinbaren Keimzelle entwickeln können. „Medtner schafft es, die russische Seele mit der deutschen Strenge des Denkens zu vereinen“, findet Gvozdetsky. „Sein Verständnis von Harmonik ist äußerst konservativ – und doch sind seine Werke voller kühner Experimente.“

Wer nichts riskiert, kann nichts bewegen

Diesen Facettenreichtum hörbar zu machen, ist das Ziel der jungen Interpreten, die das Medtner-Festival gestalten. Sie kommen aus Großbritannien und Bulgarien, aus Russland, der Ukraine und Südkorea. Und sie treten alle ohne Gage auf - in der Hoffnung, durch dieses ehrenamtliche Engagement staatliche Stellen für eine Förderung künftiger Aktivitäten zu gewinnen. „Losgehen und einfach machen“, nennt Simon Moser das: „Wer nichts riskiert, kann auch nichts bewegen.“

In der Schwartz’schen Villa am Rathaus Steglitz findet am 30. Oktober der erste Konzertabend statt, fünf Künstler sind dabei, es werden mehrere der „Märchen“- Stücke erklingen, die „Sonata Romantica“ sowie drei Nocturnes für Geige und Klavier. Die große „Nachtwindsonate“ folgt tags darauf im Musikinstrumentenmuseum. In der Charlottenburger Villa Oppenheim geht es am 1. November um Medtners Berliner Jahre, bei einem von Musik umrahmten Expertengespräch. Für Familien ist ein Märchenkonzert am 2.11. im Rathaus Charlottenburg gedacht, beim Abschlusskonzert im Joseph-Joachim-Saal der UdK in der Bundesallee schließlich treten gleich sechs Pianisten auf, zudem stellt die Sopranistin Heike Charlotte Päuser ausgewählte Lieder vor. „Ich wurde 100 Jahre zu spät geboren“, hat Nikolaj Medtner einmal über sich gesagt. Ein weiteres Jahrhundert später scheint die Zeit für die Wiederentdeckung dieses letzten Romantikers gekommen zu sein.

Weitere Infos zum Festival unter www.medtner-gesellschaft.de

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