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Kultur: Nobler Auftritt in Turin

Harold Pinter beim Europa-Theaterpreis

Glück muss man haben, auch als Festivalmacher. Wie hätte die Jury des X. Europäischen Theaterpreises im Jahr 2001 wissen sollen, dass ausgerechnet Harold Pinter den Literatur-Nobelpreis erhalten würde? Und wie hätte sie ahnen können, dass der Preisträger aus Krankheitsgründen nicht nach Stockholm reisen, sich nun aber auf den Weg nach Turin machen würde, um dort die mit 60 000 Euro dotierte Ehrung entgegenzunehmen?

Es war der Versuch einer Wiederbelebung: 1986 in Taormina mit großem Aplomb und dem offiziellen Segen der Europäischen Kommission gestartet, lebte der Europäische Theaterpreis von Anbeginn sowohl vom Flair Siziliens als auch von der Parade berühmter Namen: Ariane Mnouchkine und Heiner Müller, Robert Wilson, Peter Brook und Pina Bausch. 2001 war Michel Piccoli der letzte Preisträger, und schon damals war die Wahl des nächsten Laureaten auf Pinter gefallen. Doch machten politische und finanzielle Probleme dem Festival ein vorläufiges Ende.

Nun also Turin. Im Fahrwasser der Olympischen Spiele entstand die Idee einer Verpflanzung des Theaterpreises nach Norditalien – mit Pinter im Mittelpunkt, dazu als „Nachwuchskünstler“ der litauische Regisseur Oskaras Korsunovas und der Ungar Peter Nadj. Darüber hinaus beschäftigte sich Luca Ronconi in fünf Eigenproduktionen - von Shakespeares „Troilus und Cressida“ über Edward Bond bis zu italienischen Gegenwartsautoren – mit den Themen Geschichte, Krieg, Politik und Bioethik. Allein für dieses „Progetto Domani“ stellte die Stadt Turin sieben Millionen Euro zur Verfügung.

Daneben nahm sich die Hommage an Pinter fast bescheiden aus. Roger Planchon montierte sechs kurze Stücke, darunter „The New World Order“, „One for the Road“ und „Partytime“, zusammen, die mehr oder weniger suggestiv Pinters Themen von Bedrohung, Unterdrückung und Verschweigung auf die Bühne des Teatro Gobetti brachten. Das Gate Theatre Dublin wiederum, angeführt von Jeremy Irons, bereicherte die Preisverleihung am Sonntag mit der Rezitation von kurzen Prosatexten und Gedichten; ein vielstimmiges Panorama aus Liebe und Abscheu, Witz.

Im Teatro Carignano hatte Harold Pinter seinen großen Auftritt, und der Gegensatz zwischen dem ehrwürdigen Logentheater und der Erscheinung des Engländers hätte kaum größer ausfallen können. Gestützt auf seinen Stock, von Krankheit gezeichnet, mit dem Gestus des alttestamentarischen Propheten beschwor der 76-Jährige einmal mehr europäischen Geist gegen US-amerikanischen Ungeist. Er sei stolz, diesen europäischen Preis zu erhalten, rief Pinter mit rauer Stimme in den Saal: „Wir Europäer müssen zusammenhalten und gemeinsam gegen die Macht Amerikas aufstehen.“ Lateinamerika sei da derzeit das leuchtendste Beispiel: „Wir haben die verdammte Pflicht, für unsere Ziele zu kämpfen.“

Ausführlich hatte Pinter zuvor dem „Guardian“-Kritiker Michael Billington Rede und Antwort gestanden. Geradezu nüchtern im Tonfall, aber ungeschminkt in der Wortwahl ließ der Autor noch einmal die Tage der Nobelpreisverleihung im Dezember letzten Jahres Revue passieren: seine rätselhafte Hautkrankheit, die fast zum Erstickungstod geführt hätte („so nahe habe ich mich noch nie dem Tod gefühlt“), die Fahrt von der Klinik direkt ins Studio, wo die Video-Aufzeichnung seiner Stockholmer Rede stattfand, und die Fülle an Reaktionen danach. Der Irak-Krieg als Thema eines Theaterstücks? Weitere Stücke aus seiner Feder seien sehr unwahrscheinlich, ließ Pinter verlauten. Er habe stattdessen die Poesie für sich wiederentdeckt. Ein Gedicht von Nelly Sachs oder Paul Celan etwa bringe den Horror des Holocausts stärker zur Empfindung als jede Darstellung mit Mitteln der Bühne. Dennoch bleibe er optimistisch, was dessen Zukunft in Zeiten von Videoclip und Internet betrifft: „Nur das Theater kann dem Zuschauer ein einzigartiges Live-Erlebnis bescheren.“

Michael Horst

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