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Kultur: Obst von drüben Späte

Von den Zensurfällen der DDR-Filmgeschichte sind vor allem die elf "Verbotsfilme" ins Bewusstsein eingegangen, die nach dem 11. Plenum des ZK der SED in den Jahren 1965 / 66 im Giftschrank verschwanden und dann nach dem Mauerfall ihre Uraufführung erlebten.

Von den Zensurfällen der DDR-Filmgeschichte sind vor allem die elf "Verbotsfilme" ins Bewusstsein eingegangen, die nach dem 11. Plenum des ZK der SED in den Jahren 1965 / 66 im Giftschrank verschwanden und dann nach dem Mauerfall ihre Uraufführung erlebten. Doch wer kennt den ersten "kompletten" Verbotsfall der DEFA? Dabei existierte Ernst Rimanis "Die Schönste" in DEFA-Archiven gleich doppelt: Neben der Urfassung gab es Teile einer umgeschnittenen Zensur-Version, die ebensowenig die Kinos erreichte. Beide wurden nun in Kleinarbeit rekonstruiert. Herausgekommen sind zwei kinogerechte Fassungen des gleichen Films, die zweite um fast 20 Minuten kürzer.

Im DEFA-Kontext ist "Die Schönste" ein Exotikum. Der Film spielt im Westen, Autor Arthur A. Kuhnert war ein Wessi. Und der Südtiroler Regisseur Ernesto Rimani hatte sich seine Lorbeeren bei der UFA und in Lateinamerika verdient. Es geht um weibliche Attraktionen im westdeutschen Aufsteiger-Milieu, um Dekolletées und Brillanten als Garanten wirtschaftlicher Potenz. Dabei wird die schmerbäuchige Raffsucht so böse karikiert, dass es auch heute noch Sinn und Spaß macht: herzerfrischendes Stehpartie-Geplänkel also, gegossen in die Form eines sentimentalen Familien-Dramas, das sich im Schicksal der benachbarten Chauffeurs-Familie spiegelt. Freundschaft und Mutterliebe, durch eine Wette auf die Probe gestellt.

"Die Schönste" wurde noch vor der Premiere verboten. Die Obstschale auf dem Küchentisch des Chauffeurs glänzte allzu freundlich. Bei den DEFA-Ausstattern müssen angesichts der Lust, die Lebensumstände des Klassenfeindes zu inszenieren, alle Hemmungen gefallen sein. So verführerisch kommt das neureiche Ambiente mit Spiegelwandschränken und blau abgetöntem Kinderzimmer daher, dass der Westberliner Koproduzent sich angeblich eine Real-Kopie der Filmwohnung am Kudamm hat anfertigen lassen. Aber nicht nur das Obst war anstößig: So wurde jede konkrete Verortung des ursprünglich in Westberlin angesiedelten Geschehens in der zweiten Fassung gestrichen, so dass bei einer Flucht der beiden Jungen nach Hamburg auch die damalige Grenze auf der Strecke blieb. Zum Ersatz für die Kürzungen wurde dem Film eine Rahmenhandlung übergestülpt, die die Bedeutung des Geschehens noch mal ausdrücklich in Wort und Gesang erläutert, inklusive dem sängerischen Filmdebüt von Manfred Krug.

Für die Wahrnehmung auch subtilerer Differenzen beider Fassungen reicht einmaliges Sehen nicht aus. Hier ließe sich Digitaltechnik wirklich sinnvoll einsetzen: Beide Filme auf einer DVD, mit der Option, zwischen den Fassungen hin- und herzuklicken, Hintergrundinformation und unveröffentlichtem Bonus-Material - das wäre eine Zusatzinvestition, die der Wahrheitsfindung diente.

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