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Hundstage

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Österreich: Jeder Mensch ein Abgrund

Und die Nationaltracht ist die Niedertracht: Über die Galerie des Grauens in Österreichs Kultur.

Am Sonntagabend kam der „Tatort“ aus Wien. Da hatten Österreichs Leichen mal wieder einen besonderen Schmäh und Graus, sie entkamen der Pathologie und lebten noch ein bisserl länger: als Crashtest-Dummys. Gleichzeitig kommt in der wirklichen Wirklichkeit die Meldung, dass eine Mutter im sauerländischen Wenden drei Babys in ihrer Tiefkühltruhe eingelagert haben soll. Das Sauerland liegt in Nordrhein-Westfalen. Nicht in Österreich, nicht mal in Ostdeutschland.

Der Bundeskanzler und der Bundespräsident haben nun in Wien gesagt, es gebe keinen Fall Amstetten und keinen Fall Österreich und auch nichts „abgründig Österreichisches“, sondern nur einen Einzelfall. Dabei haben sie angesichts der Gewalt und Leiden im Keller des fürchterlichen Fritzl-Hauses für sich genommen durchaus recht. „Das Böse ist immer und überall“, sang schon Österreichs bislang erfolgreichste Popband, die sich, nicht ganz arglos, die „Erste Allgemeine Verunsicherung“ genannt hat.

Natürlich ist auch jetzt die allgemeine Verunsicherung präsent. Wenn ein Bundeskanzler nämlich sagt (und sagen muss), dass es in seinem Land keinen „Fall“ gebe, dann gibt es ihn. Selbst wenn er eigentlich recht hat. Das ist das Vertrackte. Und das liegt auch an Österreich. Die Horrorgeschichte der Natascha Kampusch in einem niederösterreichischen Kellerverlies hatte in ihrer Monströsität bereits etwas Exotisches, Exzesshaftes. Der Fall Fritzl ist wieder ein lang andauernder Exzess, also eine ungeheuerliche, außergewöhnliche Steigerung von familiären Missbrauchsverbrechen. Wieder in Niederösterreich, das Bundesland an der Donau, das Wien umschließt. Ein Zufall, gewiss. Denn das Böse, vor allem in Gestalt der sexuellen Gewalt gegenüber Schwachen, Abhängigen, Kindern, ist immer und überall ein universelles Phänomen. Der im k.u.k- Budapest geborene österreichische Schriftsteller Arthur Koestler, der die Terrorgeschichte des 20. Jahrhunderts wie kein anderer früh durchschaute, hat den Menschen darum einen „Irrtum der Evolution“ genannt.

Aber: Wien und Österreich sind wie kein anderes Stadt-Land-Fluss- und Berggebiet auch eine in der neueren Geschichte einzigartige Projektionsfläche für das Morbide, Mordlustige, Todessüchtige, gewalttätig Untergründige geworden. Und natürlich hat auch der Untergrund seinen Grund – weiter oben. In der Politik, in der Kultur, im Alltagsgebaren. Wer nicht in Stereotypen denkt und weiß, dass das große Unheil immer mit dem „die“ beginnt („die“ Deutschen, Russen, Araber, Ausländer, Juden usw.), der lehnt den Gedanken einer sogenannten „Volksseele“ ab. Trotzdem gibt es als lebendige Mischung von Klischee und Wirklichkeit so etwas wie britischen Humor, jüdischen Witz, deutschen Fleiß, italienische Eleganz – oder österreichische Musikalität. Auch: Morbidität.

Also lieber keine Volksseele. Doch die Seele, die der Wiener Arzt und Dichter Arthur Schnitzler ein „weites Land“ nennt, hat in Österreich eine ungeheure Verengung des realen Landes verkraften müssen. Das im Ersten Weltkrieg zerfallene habsburgische Vielvölkerreich, an dessen Hauptstadt Wien, dem prächtig geblähten, imperialen Wasserkopf, bis heute nur noch ein Schrumpfleib hängt, dieses Völkerreich hat als aversive Kompensation des Multi-Ethnischen auch einen starken Seelenhang zum Rest-„Völkischen“ hinterlassen. Darauf setzte einst der Austrofaschismus: gegen alles Fremde, gegen das Slawische oder Balkanische, für das (bis heute hassgeliebte) Deutsche. Das „Dritte Reich“ war so viel mehr und besser als gar kein Reich mehr.

Nach 1945 hat man sich – unter russischer Besatzung ohne neue Werte bildende Reeducation geblieben – schnell vom Tätervolk zum „ersten Opfer“ der Nazis stilisiert. Bonmot: „Wir haben aus Beethoven einen Österreicher und aus Hitler einen Deutschen gemacht.“

Verdrängung, Wahn, Neurotik und selbstmitleidige Barbarei sind freilich schon seit der Dämmerung des Habsburgerreichs die großen Themen eines österreichischen „Unbehagens in der Kultur“ (ein Begriff von Sigmund Freud, 1930 in Wien). Karl Kraus war da der schärfste Kritiker, nicht zuletzt der österreichischen Presse und Justiz. In seinem so universellen wie austriakischen Weltkriegsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“ entwirft er ab 1915 dann einen alle Schichten ergreifenden Reigen des Schreckens. Und er sagt später, was viele Dichter, Denker und Künstler Österreichs über sich sagen könnten: „Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt.“

Es ist eine oft schwarzkomische, finster funkelnde Galerie des Grauens und der perfiden Bösartigkeiten, die sich etwa in Ödön von Horváths Dramen noch vor der Nazimachtergreifung in Berlin und Wien eröffnet, und die sich fortsetzt: in der Wienerischen Blockwartssuada des Qualtinger’schen „Herrn Karl“; in den von Wut, Witz und der Verdammung Österreichs als ewige Brutstätte von Dumpfheit, Nazismus, Judenhass und Selbstbetrug getragenen Texten Thomas Bernhards, Werner Schwabs und Elfriede Jelineks. Oder in der von Geilheit und Gemeinheit bestimmten Welt des Kabarettisten und Filmers Josef Hader. Alle Figuren machen da aus ihrem Herzen nur zu gerne eine Mördergrube, jede Mozartkugel verheißt Gift, und die Nationaltracht ist die Niedertracht.

Auch wenn es nicht immer ausdrücklich formuliert wird, auch wenn nicht wie in Thomas Bernhards Requiem „Heldenplatz“ noch ein halbes Jahrhundert später das frenetische Hitler-Begüßungsgebrüll der Österreicher von 1938 kopfinnen nachklingt, ist der Untertext dieses Pandämoniums doch immer der unaufgearbeitete eigene Nazismus. Gepaart mit katholischem Nationalismus, jener Gemütsmischung, die einst den Bundespräsidenten Waldheim nicht nur bei jedem zweiten Wiener Taxifahrer zum (subaltern aggressiv) verteidigten Volkshelden gemacht hat. So fällt es auch amateurpsychologisch nicht schwer, in Josef Fritzls weltweit verbreiteter Visage und Habitus, in seinem Thailandurlaubsvideo ganz den kleinbürgerlichen, jovial-brutalen Herrenmenschen zu erkennen. Oder erkennen zu wollen. Josef und Maria hießen Fritzls Eltern, der Vater war nie da, die Mutter prügelte ihn, aufgewachsen und gelebt hat er im klerikal- provinziellen Milieu. Nicht weit ist die Stadt Linz, die Hitler zu seiner wahren Heimat erklärt hat, wo Ernst Kaltenbrunner, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes herkam, wo Adolf Eichmann aufwuchs, wo nicht sehr weit das bis heute in all seiner (äußeren) Schrecklichkeit erhaltene KZ Mauthausen liegt. Aber das erklärt noch nicht den Exzess von Amstetten, allenfalls die Normalität, die nur das Wegsehen, Weghören von Nachbarn und Ämtern kannte.

Gespenstischer ist eher, dass Elfriede Jelineks Bücher und Dramen so viel enthalten von der braun-blutigen Melange aus männlicher Brutalität und dem Missbrauch der gedemütigten, immer wieder wie Vieh zum Schweigen gebrachten Ehefrauen und Töchtern. Jelineks virtuos furchtbarer Roman „Lust“ erzählt von einer Welt, in der Amstetten so exotisch, so exzesshaft dann nicht mehr ist.

Wohl am weitesten geht heute in der Ergründung mitmenschenmöglicher Gewalt allerdings der österreichische Filmregisseur Michael Haneke. Seine vor zehn Jahren mit Ulrich Mühe und Susanne Lothar gedrehten „Funny Games“ kehren dieser Tage als Hollywood-Remake ins Kino zurück. Haneke erzählt von der spielerisch zynischen Folter und Ausrottung einer gutbürgerlichen Familie. Und diese Reise in die humane Finsternis geht wirklich weiter: nämlich über alles vermeintlich Österreichische hinaus.

Das spielt nun jenseits der Wiener Geisterbahn, nicht mehr im alten Habsburger- Nazi-Gespensterhaus. Es erinnert allein an Georg Büchners Satz: „Jeder Mensch ist ein Abgrund.“

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