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Kultur: Oh, wie cool ist Liverpool

Beatles, Rattle, Fußball: Die Kulturhauptstadt 2008 setzt auf ihre Stars

Von Markus Hesselmann

Selbst der große Sohn der Stadt konnte es nicht recht glauben. „Ich muss zugeben, ich hielt Liverpool für eine irgendwie merkwürdige Wahl, als ich hörte, dass wir den Zuschlag als Kulturhauptstadt bekommen haben“, sagte Paul McCartney laut „BBC“ bei der Vorstellung des Musikprogramms der Europäischen Kulturhauptstadt 2008. „Ich denke nie so über Liverpool.“ Der Ex-Beatle, der in London lebt, überwand seine Irritation allerdings rasch und sagte zu, seine Heimatstadt in ihrer neuen Rolle zu unterstützen. „Natürlich liebe ich Liverpool. Ich bin da geboren und komme regelmäßig zu Besuch.“ 2008 werde die Stadt zu „einem ganz besonderen Ort“ und zum „Schaufenster für ganz Großbritannien“. Am 12. Januar geht es offiziell los mit der Kulturhauptstadt Liverpool. Mit „Liverpool – The Musical“ wird die neue Liverpool Arena eröffnet. Bei der Aufführung, einer Hommage an die Musik und die Geschichte der Stadt, wirken mit: das Liverpool Philharmonic Orchestra sowie Popstars wie Dave Stewart, Echo & The Bunnymen und Ringo Starr. Der frühere Schlagzeuger der Beatles spielt außerdem bereits am Vorabend auf dem Dach der St. George’s Hall – ein Auftritt, der an das legendäre Beatles-Konzert auf dem Londoner Apple-Gebäude erinnert. Paul McCartney tritt am 1. Juni auf, im Stadion an der Anfield Road, Heimstatt des glorreichen FC Liverpool, der 2010 in ein neu gebautes Stadion umziehen will.

Trotz Beatles und FC Liverpool: Als Schaufenster für ganz Großbritannien wurde die nordenglische Hafenstadt in den vergangenen Jahrzehnten auf der Insel ganz und gar nicht gesehen. Liverpool galt vielmehr als Inbegriff des Niedergangs des einst so stolzen imperialen Britannien. Die einstmals reiche Industrie- und Handelsmetropole verpasste dann auch zunächst den Anschluss an Tony Blairs „Cool Britannia“, den auf Dienstleistungen, Finanzgeschäften und neuen Medien gründenden Aufschwung. Liverpools Image lebte nur mehr von verblassenden Mythen. Von Cavern Club und Anfield Road. Von einer Band, die sich 1970 getrennt hat, und einem Fußballklub, der längst von Manchester United sowie den Londoner Klubs Arsenal und Chelsea von der Spitze verdrängt wurde. Arbeitslosigkeit, heruntergekommene Stadtviertel, Jugendgewalt – das war und ist die Realität in Liverpool.

In diesen Tagen sind die britischen Medien voll von milde spöttischen bis leicht herablassenden Beiträgen über Liverpool als europäische Kulturhauptstadt, aber auch von Mutmachern und Bekenntnissen, wie zum Beispiel dem der „Daily Telegraph“-Kolumnistin Liz Hunt. „Nach 20 Jahren bin ich stolz auf meine Heimatstadt“, steht ohne Scheu vor Pathos über ihrem Beitrag. Einst habe sie die erste Gelegenheit, das Studium, genutzt, um Liverpool und seine „sozialhilfesüchtige Bevölkerung von Schnorrern und Jammerern“ hinter sich zu lassen. Sogar ihren Akzent habe sie abgelegt. Doch als sie unlängst an einem Segelwettbewerb als Werbung für die werdende Kulturhauptstadt teilnahm und die Skyline Liverpools hinter sich entschwinden sah, fühlte sie zum ersten Mal echten Lokalpatriotismus.

Liz Hunt verweist in ihrem Bekennerstück auch auf den Höhepunkt der britischen Anti-Liverpool-Ressentiments: Als 2004 der Liverpooler Kenneth Bigley im Irak entführt und ermordet worden war, druckte das Magazin „The Spectator“ einen bösen Leitartikel. Die Liverpooler hätten sich in öffentlicher Trauer „gesuhlt“, hieß es in dem namentlich nicht gekennzeichneten Beitrag. Der Aufruhr war so groß, dass der damalige „Spectator“-Chef Boris Johnson sich öffentlich entschuldigen und sogar einen Canossagang nach Nordengland antreten musste.

Ganz ohne Komplikationen lief auch die Kulturhauptstadtwerdung Liverpools nicht ab. Der Organisationschef trat nach Querelen kurz vor der Eröffnung zurück, auf dem Budget lastet ein Defizit von 30 Millionen Euro. Einige Kommentatoren verweisen darauf, dass dies im Vergleich zu den Fehlplanungen für die Olympischen Spiele in London 2012 ein Klacks ist. Bei anderen klingt die übliche Häme durch.

Alle Vorurteile kontert Liverpool jedenfalls mit einem großen ganzjährigen Kulturprogramm, zu dem auch ein Gastspiel des Liverpoolers Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern gehört. Sogar Boris Johnson, inzwischen Kandidat der Konservativen für die Londoner Bürgermeisterwahl, scheint in seinem tiefsten Herzen Liverpools Kultur zu lieben. Als Gast der BBC-Sendung „Desert Island Discs“ nannte er als eine der Platten, die er unbedingt auf die einsame Insel mitnehmen würde – „Here Comes The Sun“ von den Beatles.

Das Programm im Internet unter

http://www.liverpool08.com

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