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Ohne Bild: Die Rahmenhandlung

Olaf Lemke restauriert und verkauft antike Bilderrahmen. Sein Geschäft versorgt Sammler und Museen.

Nicht jeder Rahmen macht es dem Kenner so leicht zu erahnen, was für ein Bild mal darin gesteckt hat, wie jenes schwere Exemplar, das in einem Schaufenster an der Eisenacher Straße in Schöneberg hängt. „Sehen sie diese Birnen hier?“, fragt Olaf Lemke. Er deutet auf die Schnitzereien. Sie verweisen auf Mariendarstellungen, bei denen Maria das Jesuskind mit einer Birne in der Hand hält. Dass Bild und Rahmen eine solche Einheit bilden, ist heute nicht mehr selbstverständlich. Außer für Olaf Lemke, den Restaurator, Sammler und Händler. Einer der ganz wenigen Großen in der internationalen Rahmenszene.

Auf dem Tisch in seinem verwinkelten Laden liegt ein Katalog der kürzlich zu Ende gegangenen Ausstellung „Bilderträume“ in der Neuen Nationalgalerie. Lemke hat sich daran gemacht, das Buch zu vervollständigen, nach seinem Geschmack. Denn jeder Abbildung fügt er eine zweite Version hinzu: das Gemälde im Rahmen. Die Bilder wirken dadurch ganz anders. Zehn Kataloge sollen in Handarbeit entstehen. Eine kleine Auflage, kostbar, wie die Rahmen selbst.

Über die Jahrhunderte hinweg bestimmten verschiedene Moden das Schicksal von Rahmen. August der Starke, Kurfürst von Sachsen, ordnete für die Dresdner Gemäldesammlung den Rokokostil an, ungeachtet der jeweiligen Entstehungszeit. Karl Friedrich Schinkel ließ die Berliner Gemäldegalerie einheitlich klassizistisch rahmen. Erst mit Wilhelm von Bode, Generaldirektor der staatlichen Kunstsammlungen, fand ein Umdenken statt. Er besann sich auf den kunsthistorischen Zusammenhang, nahm die Schinkel’schen Rahmen wieder ab und ließ einen Teil der Sammlung mit originalen Rahmen ausstatten.

„Bode ist der Gott in der Rahmenwelt“, sagt Lemke. Inzwischen hat die Epochentreue wieder an Bedeutung gewonnen. Rahmen erfahren neue Beachtung. Die Alte Pinakothek in München gewährt in ihrer Ausstellung „Rahmenkunst“ noch bis Mitte April Einblick in ihre umfangreichen Bestände. Bei Lemke liegt gerade ein Auftrag einer Sammlung aus Texas. Für ein italienisches Bild wird ein florentinischer Renaissancerahmen gewünscht.

„Da muss ich suchen“, sagt Lemke. Er verfügt zwar über eine unglaubliche Anzahl von 2000 Stück und pflegt Kontakte zu anderen Händlern in New York, Paris oder London. Lemke kauft nach seinem eigenen Geschmack. Er mag schlichte Rahmen. Und er sperrt sich gegen eine noch heute gängige Praxis: Lemke restauriert Rahmen, versucht Urzustände unter zugekleisterten Goldbeschichtungen Millimeter für Millimeter hervorzuholen – aber er schneidet sie nicht zu. Prinzipiell nicht. Damit zerstört man seiner Ansicht nach das Gesamtkunstwerk, die Proportionen und Ornamente, die plötzlich nicht mehr ineinander greifen. Wenn er die passenden Maße nicht bieten kann, dann muss er den Kunden wegschicken oder bei einem befreundeten Kollegen anfragen. Sein Londoner Kollege Paul Mitchell hat 6000 Rahmen auf Lager. Es gibt nicht viele Rahmenspezialisten auf der Welt. Sie sind aufeinander angewiesen.

Wer den Schöneberger Laden im Erdgeschoss schon beeindruckend findet, den führt der 74-jährige Händler, der noch nicht ans Aufhören denkt, durch ein bürgerliches Treppenhaus in den ersten Stock. Hier hat er eine großzügige Altbauwohnung. Nur für Rahmen. Sie hängen übereinander und ineinander, alle Wände sind voll damit. Lemke hat die Objekte nach Räumen sortiert. Im Flur hängen Stücke aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Getriebenes Silber, vergoldete Bronze, Schildpatt. Lemke zieht sanft den Vorhang vor den Fenstern weg, er lächelt wissend. „Hier sind die Rahmen so präsentiert, dass die Leute in die Knie gehen“, sagt er.

Das müssen sie auch, denn Lemkes Rahmen sind teuer. Und, sagt er, es gibt nicht viele Käufer, die bereits sind, Geld auszugeben. Der Experte hebt einen Holzrahmen von der Wand, „Mitte 16. Jahrhundert“, auf der Rückseite klebt das Preisschild: 39 000 Euro. Und das ist nicht das teuerste Stück. Lemke sagt, das Verhältnis müsse stimmen. Einem Kunden mit einem vergleichsweise wertlosen Bild verkaufe er keinen teuren Rahmen.

Heinz Berggruen schätzte Lemkes Wissen, das Sammlerpaar Pietzsch ist seit 35 Jahren Kunde, Georg Baselitz schaut vorbei. Dabei hört Lemkes Sammlung mit dem Jahr 1830 auf. Danach kommt industriell Gefertigtes, das interessiert ihn nicht. Welche Kriterien setzt er also bei moderner und zeitgenössischer Malerei an, wie bei der Surrealisten-Sammlung der Pietzsch’?

Da entscheidet der Bauch. Das Picasso-Porträt von Dora Maar steckte erst in einem Goldrahmen, erzählt Lemke. „Ich hatte aber einen, der viel besser passte.“ Andalusien, Mitte des 17. Jahrhundert, mit einer zarten Patina. Die Marmorierung ähnelt dem von Picasso gemalten Halsstück. Der Rahmen antwortet auf das Bild. Für die Bleistiftzeichnungen von Marc Brandenburg, die derzeit in der Galerie Contemporary Fine Arts zu sehen sind, wählte Lemke schlichte, silbrige Rahmen, die sogenannte Berliner Leiste.

Vor dreißig Jahren hat er seinen Schöneberger Laden eröffnet. Früher war hier ein Milchladen, daran erinnert er sich gut, denn Lemke wohnt in der Straße, seit er 17 ist. Lemke, geboren 1936, hat Vergolder in Berlin gelernt. Danach ging er mit 21 Jahren nach London in die Werkstatt von F. A. Pollak. Der war jüdischer Herkunft und vor den Nazis aus Deutschland geflohen. Dem jungen Mann zeigte er, wie man Rahmen kopiert. Wenn man es richtig gut mache, sagt Lemke, dann sei der Arbeitsaufwand so groß, dass die nachgemachten Rahmen nur etwa zwanzig Prozent weniger kosten als die originalen Antiquitäten.

Also ist er Händler geworden und jahrelang herumgereist auf der Suche nach Schätzen, vor allem in Spanien. Dort war das Paradies, sagt er. „Da gab es in jedem Trödelladen einen Rahmen für mich.“ Heute ist das nicht mehr so. Aber heute kauft Lemke auch nicht mehr an. Er hat genug damit zu tun, das, was er hat, zu restaurieren.

Rahmengalerie Lemke, Eisenacher Straße 7 (Schöneberg)

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