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Let’s swing! Michel Legrand und die Jazzsängerin Lena Horne.

© imago/ZUMA Press

Nachruf Michel Legrand: Ohrwürmer aus Babylon

Mit allen Wassern des Jazz: Zum Tod des Filmkomponisten Michel Legrand.

Von Gregor Dotzauer

Als er 1968 sein Lied für die Ewigkeit schrieb, lebte Michel Legrand schon mindestens sein drittes Leben. „The Windmills of Your Mind“, der Hit seines ersten Soundtracks für Hollywood, schmückte den Thriller „The Thomas Crown Affair“ mit Steve McQueen und Faye Dunaway. Aber es dauerte nicht lange, und das Lied bekam Flügel. Hundertfach wurde es weitergetragen, von Neil Diamond und Dusty Springfield, José Feliciano und Dianne Reeves, Kiri Te Kanawa und Barbra Streisand, Udo Lindenberg und Vicky Leandros. In einer französischen Version unter dem Titel „Les Moulins de mon cœur“ sang es in seiner süßen Melancholie auch der Meister selbst. Wer den Ohrwurm nur von Sting kennen sollte, der es für das Remake einsang, macht sich von den Stars, die allein im Windmühlen-Universum funkeln, keine Vorstellung.

Legrand, am 24. Februar 1932 in Paris geboren, war eine musikalisch polyglotte Erscheinung. Ein Jazzpianist mit Oscar Peterson als Idol, ein Komponist von enormer Wandlungsfähigkeit und ein Tonkolorist von Filmen, der fast immer noch eine entscheidende Farbe mehr zu finden wusste. Das Zeug dazu hatten ihm sein Vater, der auf zahllosen Instrumenten dilettierende Varieté-Arrangeur Raymond Legrand, und seine armenischstämmige Mutter, die Schwester des Orchesterleiters Jacques Hélian, mitgegeben. Der Großvater mütterlicherseits hatte ihn mit den orientalischen Klängen von Oud und Saz bekannt gemacht und begeisterte ihn für Oum Khaltoum, die singende Göttin der arabischen Welt.

Vom elften Lebensjahr an besuchte er das Pariser Konservatorium, erhielt als Pianist und Komponist eine solide Ausbildung und geriet auf Vermittlung seines Lehrers Henri Challan auch fünf Jahre lang in die Obhut von Nadia Boulanger, der einflussreichsten Lehrerin des 20. Jahrhunderts. Zu ihren Schülern zählten Aaron Copland, Astor Piazzolla und Elliott Carter. Challan erkannte aber früh die eigentliche Begabung seines Schülers. „Ich bin ihm“, sagte Legrand, „zu ewigem Dank verpflichtet. Wenn er mich in die Richtung von Olivier Messiaen gelenkt hätte, hätte mein Leben eine radikal andere Wendung genommen.“

Begegnung mit Miles Davis

Schon mit 19 Jahren stürzte er sich in den Musikbetrieb und wurde zu einem genialen Synkretisten, der Einflüsse aus allen Richtungen einbrachte: Sogar die „Windmills“ spielen mit einem Zitat aus Mozarts Es-Dur-Sinfonia für Violine und Viola. Anfangs arrangierte er für seinen Vater und wurde Leiter von Maurice Chevaliers Orchester. Bald aber zog es ihn zum richtigen Jazz. Nach millionenfach verkauften Alben wie „I Love Paris“ oder „Michel Legrand Plays Cole Porter“ nahm er in den USA zusammen mit Miles Davis, John Coltrane und Bill Evans Titel wie „Legrand Jazz“ auf. Das Fachmagazin „Downbeat“ vergab fünf Punkte.

Anfang der 60er Jahre begann er für den Film zu komponieren. Er begleitete die aufkommende Nouvelle Vague und schrieb, angefangen mit „Une femme est une femme“, die Musik für mehrere Filme von Jean-Luc Godard. In Agnès Vardas „Cléo de 5 à 7“ saß er als wilder Pianist Bob auch gleich mit vor der Kamera. Und dem genialen Jacques Demy schenkte er die Melodien für „Die Regenschirme von Cherbourg“, einen Film, in dem alle Dialoge gesungen werden. Er arbeitete aber auch für Traditionsregisseure wie Yves Allègret oder Marcel Carné und begab sich sogar in kommerziellere Regionen. Legrand war eine Allzweckwaffe von überwältigendem Fleiß. Weit über 200 Filme gehen auf sein Konto. Blockaden, sagte er einmal, kenne er nicht.

Mit der „Thomas Crown Affair“ kam auch die internationale Karriere – einschließlich zwei Oscars, fünf Grammys und eines Henry Mancini Award – in Schwung. Wenn er dem französischen Kino auch weitgehend treu blieb oder Louis Malle nach „Atlantic City“ folgte, brachte er es doch bis zu Irving Kershners Bond-Verfilmung „Sag niemals nie“. Für Barbra Streisands „Yentl“ schrieb er mit „Papa, Can You Hear Me?“ einen weiteren Evergreen.

Michel Legrands auch privat bewegtes Leben, das spät in eine Wiederbegegnung mit seiner ersten Liebe, der Schauspielerin Macha Méril mündete, hat auch in Büchern seinen Niederschlag gefunden. „Cinq jours en juin“ (Fünf Tage im Juni), mit zwei Koautoren verfasst, ist eine Autobiografie der frühen Jahre in Romanform. Die im Gespräch mit Stéphane Lerouge entstandenen und gerade erst erschienenen Erinnerungen „J’ai le regret de vous dire oui“ (Ich muss Ihnen leider zusagen) umspannen das ganze Leben. Am Samstag ist es im Alter von 86 Jahren zu Ende gegangen. Gregor Dotzauer

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