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Kultur: Oper? Ist es das?

Musiktheaterbiennale München: Stücke von Enno Poppe und Klaus Lang

„Fremde Nähe“, so lautet das Motto der 11. Münchner Biennale für zeitgenössisches Musiktheater. Eine „Paradoxie“, wie Festival-Chef Peter Ruzicka betont, die sich „geschichtlich nicht erledigt“ habe. Die Realität der ersten beiden Uraufführungen bestätigt das: Im krassen Gegensatz der Produktionen wird die Paradoxie geradezu aufgerissen.

Klaus Langs „Architektur des Regens“ (Inszenierung und Ausstattung: Claudia Doderer) entwickelt sich aus dem Erlebnis des japanischen Nô-Theaters und beruft sich auf den Dichter Motokiyo Zeami (um 1400). Eine Allegorie: Der Mann aus der Stadt trifft den Holzfäller in den Bergen, der ihm Kunst und Natur zeigt und sich als Gott der Dichtkunst entpuppt. Keinerlei dramatische Aktion, alles, was sich bewegt, ist innen. Dr Zuschauer soll, schwer genug, sein dialektisches Verständnis von Theater vergessen.

Langs Versuch kann in seiner Subtilität nur würdigen, wer die andersartige Ästhetik begreift, die dem Geist der Vorlage jenseits allen Illustrierens ein Klanggewand schaffen will. So gibt es keine Exotismen, vielmehr ein hiesiges Instrumentarium (Ensemble Triolog München) aus Flöte, Bratschen, Celli, Bass und Percussion. Es spielen und singen zwei Soprane, die eine deutsche Nachempfindung des japanischen Textes über rund 80 Minuten in Pianissimo-Glockentöne fassen, ohne dass ein deutsches Wort als solches vernehmbar wäre.

Nichts verstehen wollen: Bei Lang kann man lernen, seine feineren Instinkte zu üben. Nur bleibt das Werk in der Inszenierung von Claudia Doderer vielleicht zu gleichförmig: Bilder aus Licht in Grauweiß, später eurythmische Zeitlupenbewegungen einer Tänzerin, die die „Poesie als Gottheit“ darstellt. Ruzicka spricht von „der stillsten Oper der Musikgeschichte“ – da mag er recht haben.

Dirigent Mark Rohde führt sein Ensemble wie die Vokalisten (hervorragend: Gotho Griesmeier, Katia Guedes) voller Spannung und lässt das zarte Klangspektrum leuchten. Bloß: Wie soll so viel Zartheit ein Bühnendasein überleben? Und wird sie je eines haben bei so extremer Andersartigkeit der Anforderungen an Macher und Hörer?

Ganz anders, aber mit demselben Problem der Theatertauglichkeit behaftet ist die Uraufführung von „Arbeit Nahrung Wohnung – Bühnenmusik für 14 Herren“, eine Zusammenarbeit des preisgekrönten, in Berlin lebenden Komponisten Enno Poppe mit dem Dichter Marcel Beyer. Hinzu kommt die Bühnenbildnerin Anna Viebrock, die sich als Regisseurin dezidiert der neuen Oper annimmt. Ein Abend der Extreme – nicht nur, was den Aufwand betrifft. Das Ganze (eine Koproduktion mit der Berliner Lindenoper und dem ZKM Karlsruhe) ist wohl als Stück realen Theaters gedacht. Jedoch kann man ohne Vorinformationen kaum vom Bühnengeschehen auf den Sinn der theatralischen Vorgänge schließen, obwohl sich das Bühnenbild denkbar realistisch ausnimmt, gemäß dem Titel als Werkstatt, Küche, Wohnzimmer. In der Werkstatt arbeitet das Orchester in Seemannsuniform an Keyboards und Percussion (das Ensemble Musikfabrik, angeführt von Michael Wendeberg).

Die Hauptakteure des Abends aber sind die Neuen Vocalsolisten Stuttgart. Was diese vier Herren an stimmlicher Artistik, Klangschönheit und aberwitziger Vokal-Bizarrerie über zwei Stunden präsentieren, vergisst man so schnell nicht mehr, allen voran Daniel Glogers Counter-Koloraturen und Martin Nagys verzehrende Tenortöne.Dennoch: Außer der im Programmheft vorgeschlagenen Robinsonade drängt sich keine Handlung auf, auch bleibt der Text unverständlich, obwohl unendliche Mengen gesprochen und gesungen werden, vor allem von Multitalent Graham F. Valentine, der als Robinson Übermenschliches leistet, und vom Bariton Omar Ebrahim als Freitag. Einzig die Lektüre von Marcel Beyers Libretto befähigt einen, die differenzierte Lyrik des Hölderlin-Preisträgers zu würdigen. Für Poppe bleibt sie Klangmaterial, Anlass für eine eminent raffinierte Musik, die mit in einer Geräuschorgie ihr Finale findet. Zuvor lotet die Vokalkomposition alle stilistischen Bezüge aus, vermittelt Orient und Okzident – eine grandiose Kompositionsleistung.

Das Werk setzt ein, wo Daniel Defoes Klassiker endet: Moderne Seeleute finden Robinson, es geht um den Zusammenstoß der insulären Robinson-Welt mit der Sphäre der Kommunikation. Wunderbar zu lesen, wie gesagt. Aber Musiktheater? Ist es das?

Das Magazin der Berliner Staatsoper zeigt Enno Poppes „Arbeit Nahrung Wohnung“ am 28. – 30.4. und 1. 5., 20 Uhr.

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