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Kultur: Opernreform: Weiß der Geiger

Da würde selbst Claus Peymann nicht widersprechen: Die aufregendste Bühne Berlins ist derzeit der Unterausschuss Theater. In dem mächtigen Gremium des Abgeordnetenhauses wird über die Vergabe der Subventionen entschieden.

Da würde selbst Claus Peymann nicht widersprechen: Die aufregendste Bühne Berlins ist derzeit der Unterausschuss Theater. In dem mächtigen Gremium des Abgeordnetenhauses wird über die Vergabe der Subventionen entschieden. Hier spielen sich die wahren Tragödien ab. Und weil jede Bühne, die etwas auf sich hält, zeitgenössische Dramatik fördert, gab der Unterausschuss Theater im März 2000 bei der Kulturverwaltung eine große Oper in Auftrag. Alle bislang dort herausgekommenen Akte waren Skandal-Erfolge. In Kürze soll sich sich der Vorhang zum Finale heben: Wer nicht wissen will, wie es ausgeht, sollte jetzt nicht weiterlesen.

Was bisher geschah: Im Juni 2000 brachte der gerade erst ins Business eingestiegene Kultursenator Christoph Stölzl den ersten Akt, eine schonungslose Offenlegung der Defizite und strukturellen Unterfinanzierung der Hochkulturinstitutionen. Im Oktober folgte Akt Nummer zwei, ein Maßnahmenkatalog, der sich formal an die Muster des traditionellen Verwaltungsstils anlehnte, aber inhaltlich unerhört Neues lieferte. Ähnlich wie beim jungen Verdi. Allerdings hieß der Arbeitstitel nicht "Un giorno di regno", sondern - nicht gerade sehr sinnlich - "Bühnenstrukturreform". Eine Vision für die Zukunft der Berliner Theaterlandschaft bei sinkenden Zuschüssen war gefordert, und Stölzl schlug die Fusion von Staatsoper und Deutscher Oper vor, massiven Stellenabbau bei den Orchstern sowie eine Profilschärfung der drei Häuser durch Konzentration auf definierte Repertoirebereiche. Das gab ein herrliches Finale des 2. Akts, wie es im Belcanto-Buche steht: Alle verloren fast den Kopf vor Erregnung und sangen wild durcheinander.

Und dann kam die Balletteinlage. Genau an der richtigen Stelle, im dritten Akt, wo sie in jeder Grand Opéra hingehört. Getanzt wurde sie von drei Gaststars: Die Opernchefs von Zürich, München und Stuttgart drehten und spreizten sich, sprangen von der Spitze in den Spagat und zurück, kurz, sie rammten in einem virtuosen pas de trois Stölzls Vision unangespitzt in den Boden. Spontaner Szenenapplaus, Jubel, Trubel, Jagdstimmung. Plötzlich wollten alle beim 4. Akt mitspielen. Der bringt - nach den Regeln der klassischen Dramaturgie - das retardierende Moment. Man versammelte sich zum Befangenen-Chor: Flieg, Gedanke, aber bitte nicht so weit. Intendanten sind Alleinherrscher, und das soll so bleiben. Jedes Haus soll das ganze Repertoire im Angebot haben und bei kräftigen Preiserhöhungen könne alles bleiben wie bisher. Richtig, riefen die Opernliebhaber Richard von Weizsäcker und Hans-Dietrich Genscher, der Bundeskanzler höchstselbst entschied, Daniel Barenboim müsse 3,5 Millionen Mark für eine Gehaltserhöhung seiner Staatskapelle erhalten. Und weil er auch mal wieder in die Zeitung wollte, streute Ex-Kultursenator Ulrich Roloff-Momin das Gerücht von antisemitischen Sprüchen gegen Barenboim. Dafür hatte er zwar keine Beweise, doch es wirkte, obwohl der Stardirigent betone, er habe in Deutschland nie Zeichen von Ausländerfeindlichkeit zu spüren bekommen: Keiner wollte derjenige sein, der Barenboim vertreibt.

Und dann war da ja auch noch Christian Thielemann, der zwar an der Deutschen Oper gekündigt hatte, den aber so viele einflussreiche Menschen in der Stadt behalten wollten, dass der Wunschkandidat des designierten Intendanten Udo Zimmermann, Fabio Luisi, mit einer fadenscheinigen Begründung abgeschmettert wurde. Anstatt daraufhin ebenfalls aus dem Stück auszusteigen, entschied sich Zimmermann fürs Dauerduett mit Thielemann. Zu diesem Zeitpunkt war auch Stölzl längst nicht mehr Herr über sein Werk, sondern nur noch Ghostwriter einer Story, deren Verlauf ihm andere diktieren.

So vollendet sich der fünfte Akt der Grand Opéra-Reform fast von selbst. Noch ist der allerdings nicht aufführungsreif. Hinter verschlossenen Türen beraten Haushalts- und Kulturexperten der Parteien das Finale. Alle drei Häuser bleiben autonom, sie behalten - so noch vorhanden - ihre Tanztruppen. Das Projekt des BerlinBalletts gilt als gescheitert. Die Opern werden in Anstalten des Öffentlichen Rechts überführt. Das ermöglicht ihnen, Mehreinnahmen in den eigenen Etat einstellen zu können - das fordert ein differenziertes Preissystem geradezu heraus, bei dem beliebte Stücke am Wochenende bald sehr teurer werden könnten. Ob es eine verschärfte Version der "Opernkonferenz" geben wird, wie von den auswärtigen Intendanten gefordert, also ein Gremium, in dem ein unabhängiger Vermittler unter Androhung von Subventionssperren dafür sorgt, dass sich die Berliner Opernfürsten verbindlich ihre Spielpläne abstimmen, ist unklar.

Nachdem fast der gesamte Inhalt aus dem Manuskript gestrichen wurde, streitet man sich - wie schon vor Beginn des ganzen Theaters um die Theater - vor allem wieder um Geld. Finanzsenator Peter Kurth sträubt sich immer noch dagegen, den Theatern wieder den Tarifausgleich zu erstatten. Die Regel, dass der Staat die Etats seiner Institutionen jeweils um die Summen anhebt, die durch Gehaltserhöhungen seiner Angestellten alljährlich auflaufen, ist seit geraumer Zeit für die Berliner Kultur ausgesetzt. Stölzl fordert, den Opern und Theatern nach dem Modell der Hochschulen mehrjährige Zuwendungsverträge zu geben, die den Ausgleich von Tarifsteigerungen von bis zu 1,5 Prozent einschließen und gleichzeitig strukturelle Einsparungen in dieser Höhe verlangen. Für die Betroffenen wäre es ein Nullsummenspiel, für die Politik aber ein großer Schritt, findet CDU-Kulturexpertin Monika Grütters: "Durch die Übernahme dieses Prinzips, das bei den Hochschulen hervorragend funktioniert, würde sich der Senat zu seiner Pflicht bekennen, auch im Kulturbereich Tarifausgleich zu leisten." Doch selbst wenn der Finanzsenator sich zu dieser Selbstverständlichkeit durchringen kann, bleibt die Frage nach den bislang aufgelaufenen Schulden der Bühnen: Nach bislang unveröffentlichten Berechnungen der Kulturverwaltung, die dem Tagesspiegel vorliegen, werden die Defizite bis Ende 2001 bei Opern und Sprechtheater auf 44 Millionen Mark angewachsen sein.

In barocken Opern schwebt am Ende, wenn die Situation ausweglos erscheint, gewöhnlich ein Gott aus dem Bühnenhimmel - fürs Happy End. Die Grand Opéra verweigert sich solcher naiver Tricks. Seitdem fällt der Vorhang erst, wenn alle tot sind.

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