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Kultur: Ossis und Wessis haben (nicht nur) bei der Kindererziehung noch immer verschiedene Auffassungen

Die Frau konnte es einfach nicht begreifen. Dass keiner widersprochen hatte.

Die Frau konnte es einfach nicht begreifen. Dass keiner widersprochen hatte. In ihrem Freundeskreis hätte eine solche Äußerung sofort einen Proteststurm ausgelöst. Aber in diesem katholischen Kindergarten in Westdeutschland galt der Geistliche einfach als Autorität, als Respektperson, die niemand zu kritisieren wagte. "Am besten ist es, wenn die Mutter mit dem Baby zu Hause bleibt", hatte er gesagt. "Da hat keiner den Mund aufgemacht", erinnert sich die Frau. "Im Osten wäre so ein Satz niemals ohne Widerrede stehen geblieben."

Die Frau war Interviewpartnerin bei einem Forschungsprojekt an der Humboldt-Universität. Am Institut für Europäische Ethnologie untersuchen Studenten, wie Ost- West-Beziehungen zehn Jahre nach dem Mauerfall aussehen. Dazu befragen sie Paare im Alter zwischen 25 bis 35 Jahren, die sich in der Phase der Familiengründung befinden. Diese Paare leben entweder in Berlin oder einem Ort in Deutschland, der möglichst weit von der ehemaligen Grenze entfernt liegt. "Die Partner sind ja beide Deutsche. Sie gehen davon aus, dass der Andere kein Fremder ist", sagt Uta Rinklebe, Studentin der Kulturwissenschaften. "Dann merken sie aber, dass der Lebensgefährte doch einen anderen kulturellen Hintergrund hat." Ihre These: Die mit den Ost-West-Beziehungen verbundenen Missverständnisse ähneln immer noch denen, die Deutsche in Freundschaften mit Ausländern erleben. Die Schwierigkeiten treten zwar in abgeschwächter Form auf, aber sie existieren.

Der Ostmann ist uncharmant

Es ist schon erstaunlich, dass ein solches Forschungsprojekt derzeit auf Resonanz stößt. Schließlich ist die Öffentlichkeit von deutsch-deutschen Themen übersättigt. Ethnologen forschen zudem lieber über exotische Kulturen oder Randgruppen in der eigenen Gesellschaft. Durch die Medien geistern angesichts verschiedener Buch-Veröffentlichungen Klischees über die Ostdeutschen. Die Ostfrau wird in einschlägigen Artikeln oft als "selbstbewusst, ungezwungen und nicht so kopflastig" beschrieben, haben die Studenten herausgefunden. Über ihr männliches Pendant gilt: "Der Ostmann kann der Westfrau nicht genügen, da er nicht charmant ist, nicht gut angezogen, und da er kein wirtschaftliches Potential hat", fasst Rinklebe zusammen.

Mit ihrer Untersuchung wollen die Studenten zeigen, dass der allzu starke Glaube an derlei Vorurteile den Partnerschaften hinderlich ist. Ferner wurde bei den Interviews deutlich, dass die Paare oft eher die Werte aus jenem Teil Berlins oder Deutschlands übernehmen, in dem sie ihren Wohnsitz genommen haben - wenn Mann und Frau also in West-Berlin leben, beispielsweise die traditionellen West-Ansichten. Die meisten Konflikte drehen sich um Kindererziehung. "Alle befragten Ost-Frauen waren dafür, dass ihr Kind außerhalb des eigenen Haushalts betreut wird", sagt Antje Buckow, die mit Rinklebe an der Studie arbeitet. "Allerdings wollten sie die neuen Möglichkeiten nutzen." Der Nachwuchs soll also nicht zu autoritären Erzieherinnen in einen miefigen Ost-Kindergarten gebracht, sondern zum Beispiel in einen Kinderladen.

Bei den Interviews zeigte sich, dass die West-Frauen mehr Selbstbestätigung über ihr Kind suchen als die Ost-Frauen. Die Rolle als Mutter ist für diese zwar wichtig, aber nicht der ausschließliche Lebensinhalt. "Die West-Frau will jede Impfung genau diskutieren", sagt Rinklebe. "Es ist wichtig, dass das Baby genau den richtigen Biobrei bekommt: Das Kind ist eine Art Heiligtum." Wenn die Ost-Frauen mit ihrem Kind zu Hause bleiben, dann für einen überschaubaren Zeitraum. Bei ihrer "Westverwandtschaft" müssen sie sich mitunter als "Rabenmütter" schelten lassen, wenn sie ihr Kind in die Kita bringen.

Eigentlich sollten derlei Vorurteile längst in die Mottenkiste gehören. Schließlich wird über die Berufstätigkeit von Müttern seit mindestens zwanzig Jahren diskutiert. Auch sind die Meinungen in den alten Bundesländern längst nicht so einheitlich, wie es die Untersuchung an der Humboldt-Universität suggeriert. Doch scheinbar halten sich bestimmte Vorurteile nachhaltig - sowohl in Ost-, als auch in West-Deutschland. Letztlich hilft beim Aufbau einer Partnerschaft nur das genaue Hingucken und Reden über die Konflikte. "Vor den Interviews haben uns alle Paare gesagt: Bei uns seid Ihr ganz falsch, wir haben gar keine Probleme", erzählt Uta Rinklebe. "Aber während des Gesprächs zeigte sich doch, dass es erhebliche Differenzen gibt."Projekttutorium im Institut für Europäische Ethnologie, Schiffbauerdamm 19, Raum 210, dienstags 12 bis 14 Uhr.

Josefine Janert

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