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An Ostern kommen sich Gläubige und säkulare Menschen häufig nahe.

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Ostern: Seelenlos möchte eigentlich keiner sein

Nicht nur an Ostern könnte ein Satz des ersten israelischen Premiers Ben Gurion gelten: "Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."

Glauben ist mehr als nur Wissen. Oder zumindest etwas anderes. Aber an Ostern kommen sich beide häufig nahe, die Gläubigen und die säkularen Geister: überzeugte Christen und Menschen, die sich wie der Philosoph Jürgen Habermas oder vor ihm schon der Soziologe Max Weber für "religiös unmusikalisch" halten. Denn mit der Auferstehung des im Glauben der Christenheit Mensch gewordenen Gottessohns verbindet sich die Verheißung auch eines Lebens nach dem Tod.
Wer das nicht glaubt, glaubt doch zu wissen, dass die Menschen Gott und damit die Religion gefunden oder erfunden haben, um sich über ihre Sterblichkeit zu trösten. Mit der Hoffnung auf eine jenseitige Welt. Weil diese Vorstellung für alle Sterblichen eine ungeheure Sogkraft hat, rührt sie auch an die Festen der abgeklärtesten, aufgeklärtesten Vernunft.

Jürgen Habermas will einen Dialog zwischen säkularer und religiöser Welt

Habermas, der große Aufklärer, plädiert seit Längerem, auch im Hinblick auf den Islam, für einen Dialog zwischen säkularer und religiöser Welt. Und Max Weber, der Politik und Wissenschaft exemplarisch zusammendachte, hat als Agnostiker doch die "Entzauberung der Welt" durch die schiere Rationalität bedauert. Da wären wir bei den 21 Gramm. "21 Gramm" hieß vor gut einem Jahrzehnt ein brillanter früher Film des gerade wieder mit einem Oscar ausgezeichneten Meisterregisseurs Alejandro Iñárritu. Der Titel bezog sich auf die einst aufsehenerregende Messungen eines amerikanischen Arztes, der bei Sterbenden im Moment des Todes einen Gewichtverlust von durchschnittlich 21 Gramm festgestellt haben wollte. Es sei dies das "Gewicht der Seele", nach Verlassen des Körpers. Naturwissenschaftlich hat sich das als Irrtum erwiesen. Aber selbst avancierte Biologen haben den wundersamen Dualismus zwischen physischem Gehirn und nichtmateriellem Bewusstsein, früher als Leib-Seele-Konflikt bezeichnet, bis jetzt nicht erklären können.

Der in der DDR verordnete Atheismus hat ein Vakuum hinterlassen

Seelenlos möchte eigentlich keiner sein. Und mit der Osterbotschaft fände die Seele als Inbegriff der spirituellen Unsterblichkeit leichter ihre Ruhe. Doch dabei geht es nicht nur um Glauben oder Wissen. Es geht auch ums Unwissen. Umfragen unter jungen Leuten in Berlin und in den neuen Bundesländern, warum wir überhaupt Ostern feiern, haben hier eine verbreitete Ratlosigkeit ergeben. Mit Vermutungen der Art, dass es sich um ein "altgermanisches Hasenfest" handle. Das ist kein Witz. Und was würde eine solche Umfrage wohl am Rande einer Pegida-Demonstration ergeben?
Der in der DDR so lange verordnete Atheismus hat statt Aufklärung auch ein Vakuum hinterlassen – das mit der spirituellen Leere in Teilen der westlichen Konsumgesellschaft korrespondiert. Man muss aber nicht bibelgläubig sein, um das Wissen von der Schöpfungsgeschichte über die Bergpredigt bis hin zur Auferstehung und der daraus folgenden abendländischen Malerei oder auch Bachs Matthäuspassion und sein Oster-Oratorium für eine niemanden und nichts ausschließende Begründung humaner Kultur zu halten. Für ein Stück europäischer Identität, die tiefer wurzelt als ökonomisches oder populistisches Vorteilsdenken. Im Übrigen könnte nicht nur an Ostern ein Satz des ersten israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion gelten. Er, der früh schon die Versöhnung mit seinen arabischen Nachbarn und auch mit den Deutschen gesucht hat, meinte: "Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."

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