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Kultur: Paare am Rande des Nervenzusammenbruchs

Deutsches Kino im Berlinale-Wettbewerb: Romuald Karkamar scheitert, Fatih Akin zieht sich aus der Affäre

Verschiedener könnten die beiden gar nicht sein. Der eine, Romuald Karmakar, ist der Perfektionist und Pessimist des aktuellen deutschen Kinos, ein Klaustrophobiker, der seine Figuren in erfundene Gefängnisse sperrt. Seine Filme sind düster, in ausgewaschenen Farben, und nur mit ganz besonders viel Unglück kann man in ihnen mal den Himmel sehen. Fatih Akin, der andere, bleibt selbst in seinen düsteren Szenerien ein Sonnenkind, ein Harmoniker und Romantiker wie aus einem immer noch sympathisch unfertigen Drehbuch. Seine Filme atmen Freiheit, seine Figuren implodieren nicht wie bei Karmakar, sondern explodieren auch schon mal, und bunt, möglichst bunt, soll es zugehen unter dem freiestmöglichen Himmel der Welt. Doch Berserker sind sie alle beide: Kein Wunder, dass bei Karmakar lebende Leichname über die Leinwand spazieren, während Akin seine Figuren zum Unbedingtlebenwollen geradezu jagt.

Böser Zufall oder gute Absicht: Das Berlinale-Drehbuch jagt dieser Tage die beiden rationalen und emotionalen Kontrastkonzepte erbarmungslos aufeinander. Und als hätten die Regisseure das geahnt, erzählen sie zum leichteren Vergleich von scheinbar Verwandtem – von Paaren am Rande des Nervenzusammenbruchs, von seelischer Verwahrlosung, von Gefangenschaft, sich Bahn brechendem und seltsam neu sich zurechtbiegendem, ja fügendem Freiheitsdrang. Und doch sind es Filme von gänzlich verschiedener Farbe.

Romuald Karmakars „Die Nacht singt ihre Lieder“ ist ein Exerzitium, ein von zuschauerseits identifikationsuntauglichem Personal bevölkertes Dunkelkammerspiel – wie alle seine Filme, vom „Totmacher“ bis „Manila“. Mit der verblüffend linearen filmischen Umsetzung eines Erfolgsstücks von Jon Fosse, des Stars der vergangenen und vorvergangenen Bühnensaison, mochte er sich auf der sicheren Seite glauben. Und hatte nicht zuletzt „Dogville“, Lars von Triers imposantes Dreistunden-Kinotheater, die Kritikerschaft begeistert – oder zumindest gespalten, was immer auf einen bemerkenswerten Film schließen lässt?

Irgendwas aber macht, dass die Sache schief geht – und das auf hoch dramatische Weise. Bei der Pressevorführung gestern Mittag im Berlinale-Palast zog schon nach wenigen Minuten ein erster Schwung von Kritikern scharenweise von dannen, während die bis zum bitteren Ende Verbliebenen bald fast jeden Satz der beiden leidenden Protagonisten belachten – und dies gegen die Absicht Karmakars, der, wie zahlreiche Interviews vermuten lassen, seine Figuren und ihre totale Rat- und Hilflosigkeit in Lebens- und Liebesdingen hier einmal nicht denunzieren will. Am Theater würde man sagen: Das Stück ist durchgefallen. Beim Film ist es die Festival-Katastrophe, die den Flop im Kino garantiert.

Das Paar: Frank Giering spielt den Nichtmehrganzjungschriftsteller-Schlaffi, dem jedes Manuskript zurückgeschickt wird, den Couch-Potato-Kartoffelsack, das Wrack mit Anfang 30. Mit Reflexen fortgeschrittenen Hospitalismus begegnet er dem glühenden, vielleicht auch schon verglühenden Lebenshunger seiner Lebensgefährtin, für die die Hannoveraner Theaterschauspielerin Anne Ratte-Polle zumindest die nötige Bühnenpräsenz mitbringt. Das Paar, verheiratet oder nicht, hat einen Säugling, der sich erst am Ende durch Geschrei bemerkbar macht, hat eine seltsam tot ausmöblierte Wohnung, und irgendwann kommen auch die Eltern des Mannes (Marthe Keller und Manfred Zapatka), noch so zwei Untote, zwecks Besichtigung des Enkels vorbei. Kein Wunder, dass es die junge Frau angesichts all des Beziehungselends abends hinaus in die Discos treibt – und zu ihrem Geliebten Baste. Sebastian Schipper spielt diesen Nebenbuhler mit dem Rumsteh-Charme eines Mannes vom Klaviertransport.

Macht sich Karmakar vielleicht doch lustig über die Figuren, die der Norweger Fosse von Litanei zu Litanei leiden lässt, bis jemand sich erschießt (bei Karmakar löst ein Fenstersturz das Problem)? Nein, wohl nicht. Warum lachen dann die Leute bald über so beziehungstödliche Dialogzeilen wie „Kannst du nicht mal was Neues sagen?“ oder „Können wir jetzt nicht gehen? Wir können später weiterreden.“ Weil die Sätze, bloß aufgesagt, dünn sind. Das weiß auch Fosse. Wörter sind für ihn nur Endlosschleife, interaktive Tonspur für die Augenblicke dazwischen. Das Theater, das wenig mit Raumverwandlungen spielen kann, lebt allein von diesem Material. Und spielt es aus. Beim Filmemacher Karmakar aber ist da fast nichts. Seine Regie wirkt zuweilen, als hätte ein Kameramann bei den ersten Stellproben des Landestheaters Detmold im Bild gestanden, womit nichts gegen das Landestheater Detmold gesagt sei. Nein, Karmakar hat es sich konzeptionell zu einfach gemacht – so angestrengt seine Bemühungen im Detail auch gewesen sein mögen.

Für Fatih Akin und seinen Film „Gegen die Wand“, der heute im Wettbewerb Premiere hat, wird es nun umso schwerer. Und vielleicht auch wieder für den deutschen Film auf der Berlinale. Denn die Erwartungen nach dem letztjährigen Jahrgang, der etwa „Good Bye, Lenin!“ hervorbrachte, sind auch international hoch. Verständliche Lachsalven fürs deutsche Problemkino wie bei der Vorführung von „Die Nacht singt ihre Lieder“ schüren da eher uralte Vorurteile. Berlinale-Chef Kosslick mag sich solch unproduktive Kollision jetzt als willkommenen Skandal-Aufreger schönreden – und hat doch nur einen mausetoten Film noch einmal gegen die Wand gefahren.

Auch das Paar in „Gegen die Wand“ ist eigentlich keines. Denn die 20-jährige Sibel (Sibel Kekilli) hat den doppelt so alten Cahit (Birol Ünel) nur geheiratet, um der Enge ihrer türkischen Familie zu entkommen. Und so zieht sie, eben noch eine Selbstmordkandidatin, aus dem elterbrüderlichen Dreiraumhorror in die Chaos-Bude des versoffenen Gläserabräumers Cahit – unter der Voraussetzung, dass er ihr alle auch sexuelle Freiheit lässt. Eine Wohngemeinschaft zweier Gestrandeter – und bevor sich etwas wie Liebe entwickeln kann, hat Cahit schon einen ihrer Teilzeitlover erschlagen. Der hatte ihn in seiner Mannesehre beleidigt, und nun muss Cahit für ein paar Jahre in den Knast.

„Gegen die Wand“ zerfällt, genau genommen, in zwei Filme, einen vor und einen nach dem Verbrechen – und seine entscheidende Schwäche ist, dass der Übergang vom einen zum anderen emotional nicht stimmt. Zu plötzlich schreibt die bis dahin ehelich coole Sibel ihrem „geliebten Mann“ Briefe ins Gefängnis, zu heftig ist ihr seelisches Stranden in Istanbul, wohin sie nach dem Drama geflüchtet ist, zu harmonisch auch ein nachzeitliches eheliches Wiedersehen.

Dafür bietet der Film, der, wie immer bei Akin, aus dem Erzählen gar nicht herauskommen will, kein versteinertes räumliches und psychisches Setting wie Karmakar, sondern immerhin ein paar packende Szenen der Verzweiflung und auch des zeitweiligen Glücks. Da ist der dreifache erschütternde Versuch Sibels, im Streit mit ein paar Fremden den Tod zu suchen; da ist, für sich gesehen, auch die späte Begegnung zwischen den verlorenen Eheleuten, die auf diesem Festival wie ein stilles Echo auf „Before Sunset“ wirkt – als anrührend erfüllte Sehnsucht fast schon jenseits allen Träumens. Anders als bei Karmakar, wo alles Absicht ist, sind die Dialoge Fatih Akins oft unfreiwillig ungelenk, und die Dramaturgie hakt nicht mit System. Aber in seinem Film kommt das deutsche Kino zumindest wieder zu sich, und das soll uns heute Trost genug sein.

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