zum Hauptinhalt

Kultur: Party vorm Friedhof

Andreas Dresen debütiert in Basel mit Mozarts Oper „Don Giovanni“

Das also soll jetzt der neue Mensch sein. Der Mozart-Mensch nach viel Furcht, wenig Mitleid und einer pflichtschuldigen Katharsis. Sechs Häuflein Elend, fötal sich krümmend, verharrend, wahllos über den Raum verstreut. Und kein Mucks aus dem Orchestergraben. Augenblicke beinernen Schweigens. Schier unerträglich nach all dem Schwefelqualm und Budenzauber der Höllenfahrt. Ein starkes Bild, wie es die leer gefegte, „geläuterte“ Bühne ja immer ist. Bis dann Mozarts Finale anhebt, jene merkwürdig moralinsaure Stretta, die wie ein Heftpflaster auf einer frisch geschlagenen Wunde klebt: „Ah, dov’è il perfido?“ Staunendes Aufatmen. Der Bösewicht ist fort, buchstäblich wie vom Erdboden verschluckt. Und es geht weiter. Die Zeit, die steht nicht wirklich still.

Er sei kein „Bilderbauer“, hat der Filmregisseur Andreas Dresen („Sommer vorm Balkon“) vor seinem Operndebüt verlauten lassen, sondern an den Figuren interessiert, als deren erster liebender Vormund. So heikel Selbsterklärungsversuche sind, hier stimmt’s. Der Weg vom Film zur Oper, er streckt sich bisweilen. Man gerät hie in eine konventionelle Falle, fürchtet sich da vor der Musik, bleibt dort zu blass, zu brav und zu verständnisvoll. Dresen nimmt in seinem „Don Giovanni“ alles ernst, und das ist ein bisschen das Problem des Abends. Nicht dass er dem Untertitel des Stückes – dramma giocoso – nicht Rechnung tragen würde, nicht dass das sprichwörtlich Tragische nicht auch ins sprichwörtlich Komische umschlüge: in den Verkleidungsszenen des zweiten Aktes etwa oder in Zerlinas unverhohlenem „Zur Sache, Schätzchen“-Zwinkern (sehr sexy, sehr süß und mit gertenschlankem, blühendem Sopran: Mojca Erdmann). Ganz im Gegenteil: Es wird ziemlich viel gelacht und viel gejubelt in Basel.

Nur im Halse stecken bleiben will einem hier nichts. Darauf jedenfalls, dass das Komische auch mal ins Tragische kippte und das Menschlich-allzu-Menschliche mit Mozart’schem Fingerschnippen eiskalt abserviert würde, darauf wartet man vergebens. Was Dresen fehlt, ist die Frivolität des Außenseiters, die Lust am Bildersturm um des Bildersturms willen. Da war Michael Haneke in Paris unlängst radikaler. Doch: Ist es nicht erstaunlich, dass sich zwei so unterschiedliche Künstler in einem für sie fremden Metier so beredt auszudrücken vermögen? Ja, ist Oper am Ende vielleicht gar nicht so schwer?

Natürlich siedeln auch Dresens Figuren im Heute. Junge Menschen mit Baseballkappe und Daunenjacke (Kostüme: Sabine Greunig), die Bier trinken und zum Fest im ersten Akt – zur „Party“, wie Dresen schreibt – ein paar Rokoko-Kostüme herbeizerren. Als Bild freilich sagt dies wenig, wie auch die Hochzeitsgesellschaft um Zerlina und Masetto (Johannes Schwärsky) nicht erklärt wird und aus der an sich bemerkenswerten Tatsache, dass die Bühnenmusik zu Giovannis finalem Abendmahl im Graben sitzen bleibt, keine Funken stieben. Wo kommen all diese Leute her und: Wollen die noch irgendwohin? Unbehauste, Verlorene, der ganz normale Großstadtkretin?

Ihnen hat Matthias Fischer-Dieskau einen Raum gebaut, der anmutet wie die Skyline von Manhattan im Bauklotzformat, wie die nachtschwarze Abstraktion unserer Heimatlosigkeiten. Stelen, die hydraulisch mal im Boden versinken, mal in den Bühnenhimmel wachsen, ein wie von Zauberhand bewegtes Mahnmal – Peter Eisenman was here – für die Geschändeten, die Entehrten. Der gemeuchelte Komtur wird in einer dieser Stelen verschwinden (sehr sonor: Xiaoliang Li), Donna Elvira aus einer anderen betrunken hervorkrabbeln. Mehr Friedhof war nie. Wir Untote.

Ein Raum, der Räume öffnet und der der Regie manches leicht(er) macht. Die Donna-Anna-Frage beispielsweise wird fast nonchalant gelöst. Natürlich begehrt diese Frau ihren vermeintlichen Vergewaltiger, sagt Dresen. Wie Anna dann allerdings ihren sterbenden Vater keines Blickes würdigt, wie sie einzig um den treulosen Liebhaber heult und wenig später dem armen Ottavio (ein Timbre wie aus Karamellbonbons: Daniel Behle) eine mehr als billige Racheszene macht, das ist konsequent beobachtet. Dresen geht sogar noch weiter – und daran sieht man, wie sensibel er dem Herzton der Musik auf der Spur ist. Zerlina nämlich, von Giovanni während der „Party“ ins Off gelockt und dort ihrerseits angeblich sexuell genötigt, tritt betont unversehrt wieder ans Licht. Das Gezeter als Ventil, als verlässliches Mittel zur Sublimierung.

Oft aber zieht sich die Regie zurück, überlässt den Mozart-Menschen ganz seiner Einsamkeit und der Musik. Ottavios „Dalla sua pace“ ist für Dresen so ein neuralgischer Punkt, auch Elviras „Mi tradi“ oder Giovannis Ständchen: Singen um des Singens, Werben um des Werbens willen. Mit interessanten Bariton-Farben und gebrochenen Höhen zeichnet Thomas J. Mayer einen Don Juan, der hormonell gewiss glücklichere Zeiten gesehen hat (emsig sekundiert von Andrew Murphys Leporello). Sonst aber – und diese Hypothek wiegt schwer – hat die musikalische Seite wenig zu melden. Marko Letonja und das Sinfonieorchester Basel spielen ebenso flott wie flüchtig über jegliche Schwärze hinweg, und beide Donnen (Maya Boog als Anna, Eteri Gvazava als Elvira) sind stimmlich, gelinde gesagt, unterbesetzt.

Bleibt die Höllenfahrt. Der blutbesudelte Komtur. Sein Händedruck. Trockeneis zischt auf. Don Giovanni windet sich, schreit, versinkt. Und verschluckt die Welt. Leere Bühne. Keine Stelen mehr, nur vorne ein klaffendes Loch. Lass mich in Ruh’, sagt Anna zu Ottavio. Ich geh ins Kloster, greint Elvira. Wir wollen was essen, nölen Zerlina und Masetto. Es ist, als wollte man mit diesen Menschen in der Oper nicht wirklich etwas zu tun haben. Vorhang, sehr rasch. Gut so.

Christine Lemke-Matwey

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false