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Patti Smith erinnerte bei ihrem Konzert auch an Christoph Schlingensief, mit dem sie befreundet war.

© DAVIDS

Patti Smith in Berlin: Die Kraft der Töne

Patti Smith und Band rocken das Berliner Tempodrom.

Patti Smith springt durch die Zeiten, durch ihr Leben, durch die Songs: vor und zurück. Und ist mittendrin. Jetzt auf der Bühne vom ausverkauften Tempodrom. Mittendrin in ihrem Element, ihrer Musik, ihrer Poesie. Dieser lässigen Kunst, die sie einst beschrieb als „drei Akkorde und die Kraft der Wörter“. Nach den ersten drei Songs hat sie schon einmal die ganzen 37 Jahre ihrer bisherigen musikalischen Karriere umarmt. Von ihrem ersten Album „Horses“ (1975) über „Trampin’“ (2004) bis zu ihrer exquisiten neuen Platte „Banga“. Und so geht es dann weiter, die nächsten eindreiviertel Konzertstunden: vor und zurück. Mit voller Kraft der brillanten Mischung von Poesie und Rock ’n’ Roll. Es ist eine große Freude für all die, die da mittendrin stehen im Auditorium.

Wie der Schriftsteller Leonard Cohen war auch die von Baudelaire, William Blake und der amerikanischen Beat-Generation beeinflusste Dichterin Patti Smith eher zufällig zur Musik gekommen. Anfang der 70er hatte sie zu ihren Lesungen den damaligen Journalisten Lenny Kaye eingeladen, der zu ihren gesprochenen Gedichten ein bisschen auf der Gitarre rumdüdelte. Vielleicht nicht einmal drei Akkorde. Doch die beiden hatten eine Menge Spaß dabei, und Patti begann zu singen, nahm Platten auf, gab Konzerte und wurde zur Ikone der Coolness in der New Yorker Kunst-, Punk- und Rock-’n’-Roll-Szene und zum Vorbild unzähliger zukünftiger weiblicher Rock ’n’ Roller. Das war noch in den Zeiten der legendären New Yorker Rockschuppen wie Max’s Kansas City und CBGB.

Der Rest ist Geschichte. Lenny Kaye ist zu einem wirklich brillanten Gitarristen geworden. Auch in Berlin hämmert er wieder seine knalligen Riffs in die Stratocaster und gibt Pattis poetischen Songs – gemeinsam mit Drummer Jay Dee Daugherty, Bassist und Keyboarder Tony Shanahan sowie Gitarrist Jack Petruzzelli – diese ganz besonderen klanglichen Farben. Das swingt sehr cool, rockt mit Volldampf oder schmackelt in munterem Reggae-Groove. Und weckt gelegentlich höchst angenehme Erinnerungen an die Doors, die mit ihrem Sänger Jim Morrison einst zu Pattis großen Idolen gehörten. Im gewohnten schwarzen, übergroßen Herrenjackett über weißem T-Shirt und Weste tänzelt sie mit anmutig-sparsamen Bewegungen durch eine feine Auswahl aus ihrem umfangreichen Fundus brillanter Songs. Ihre Stimme klingt besser denn je, sicherer als früher. Ruhiger, runder, ausdrucksstärker, nicht mehr so scharf, schrill und kantig. Und das trotz Erkältung, wegen der sie mittendrin im Konzert einen Roadie bittet, ihr Nasenspray zu holen.

Ungewohnt ist allerdings, dass sie kaum etwas erzählt zwischen den Songs, keine Geschichten aus ihrem Leben. Einige davon kann man inzwischen nachlesen in ihrem autobiografischen Buch „Just Kids“, das 2010 mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. Patti Smith predigt nicht mehr von der Bühne, da ist heute nicht mehr dieser agitatorische Impetus. Nur ein paar kurze ruhige Worte zur Soulballade „This Is The Girl“, die sie Amy Winehouse widmet. Und zum hypnotisch repetitiven „Ghost Dance“, den sie herzzerreißend singt für ihren ebenfalls zu jung gestorbenen Freund Christoph Schlingensief. Am Schluss zieht sie die Jacke aus und das Tempo noch einmal an. Und dann wird es doch noch kämpferisch mit „People Have The Power“ und „Rock ’n’ Roll Nigger“. Gut, dass wir Patti Smith haben.

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