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Performance-Arts-Festival: Hopi-Hippie

An die 100 Künstler aus aller Welt hat André Lepecki zum zehntägigen Festival nach Berlin eingeladen. Da ihm der Begriff Kultur suspekt ist, hat er als neues Motto "Singularities“ – Einmaligkeiten – ausgegeben. Politik und Performance beim Festival "In Transit“.

Von Sandra Luzina

Beuys lässt grüßen. Ein Kojote, freilich ein ausgestopfter, ist der treue Gefährte der New Yorker Performancekünstlerin Joan Jonas, die mit ihrem weißen Turban und ihrer konzentrierten Energie wie eine Schamanin anmutet. Ende der sechziger Jahre begann sie, aus Installation, Video und Tanz eine neue Kunstform, das Happening, zu entwickeln. Mit „The Shape, the Scent, the Feel of Things“ eröffnete die 73-Jährige das Performance-Arts-Festival „In Transit“ im Haus der Kulturen der Welt. Zwei Jahre hat das Festival, das unter Johannes Odenthal zu einem respektablen Format fand, pausiert – nun wird es unter anderen Vorzeichen fortgesetzt. Der neue künstlerische Leiter André Lepecki unterrichtet derzeit Performance Studies an der New York University und ist ein flammender Verfechter des postkolonialen Denkens. Die Performance Arts betrachtet er als eine eminent politische Kunstform.

An die 100 Künstler aus aller Welt hat Lepecki zum zehntägigen Festival nach Berlin eingeladen. Da ihm der Begriff Kultur suspekt ist, hat er als neues Motto „Singularities“ – Einmaligkeiten – ausgegeben. Mit der Betonung des Singulären zielt Lepecki auf künstlerische Arbeiten, deren Qualität gerade darin liegt, „unqualifizierbar“ zu sein. Der Betrachter ist also aufgefordert, zu vermitteln und zu übersetzen. Das klingt nach einen anstrengenden akademischen Programm. Die Lust am Denken anzuregen, ist natürlich lobenswert – einen künstlerischen Mehrwert erhofft man sich aber schon von den Performances.

Bei Joan Jonas jedenfalls fand man sich bald hineingezogen in ein künstlerisches Ritual, das beides ist: Belehrung und Beschwörung. Jonas unternimmt eine doppelte Spurensuche. In den Sechzigern reiste sie nach Arizona, um die Rituale der Hopi-Indianer zu studieren. Später stieß sie auf einen Vortrag des Kunsthistorikers Aby Warburg über die Schlangenzeremonie der Hopi. Der Vortrag aus dem Jahr 1923 war selbst ein performativer Akt. Warburg, der damals wegen Schizophrenie in einem Schweizer Sanatorium behandelt wurde, hielt ihn vor seinen Ärzten, um ihnen seine geistige Gesundheit zu demonstrieren. Der bärtige Warburg-Darsteller, der auf einem Krankenbett ruht, referiert über das mythische Denken der Indianer. Für Jonas ist Warburg ein Seher, der schon früh die Schizophrenie der westlichen Zivilisation diagnostiziert hat.

Videos und Live-Aktion werden so kombiniert, dass die Warburg-Lektion und die künstlerische Neubelebung des Rituals ineinanderfließen. Joan Jonas fegt mit einem Skizzenblock über die Bühne, malt Linien auf den Boden, hüllt sich in Papierfahnen und tanzt schließlich eine Schlangenzeremonie. Leichtfüßig und mit einem gewissen Hippie-Appeal bewegt sie sich durch diesen Kosmos aus Symbolen. Joan Jonas und ihr Kojote befinden sich auf einer endlosen Reise durch verborgene Seelenlandschaften. In „The Shape, the Scent, the Feel of Things“ kann man sie eine Weile begleiten. Sandra Luzina

„The Shape, The Scent, The Feel of Things“: Fr 13.6., 20 Uhr, Sa 14.6., 18 Uhr

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