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Performance: Heulen unter dem Himmel

Ein Hörstück für Sprecherstimme mit ungarischem Akzent und bildnerischen Kontrasten. Performance "Achtung Tier": László Krasznahorkai und Max Neumann im Collegium Hungaricum.

Von Gregor Dotzauer

Man könnte sich in László Krasznahorkais finsteren Satzschleifen lesend verheddern und vor Max Neumanns gesichts- und vorderfußlosen Hundewesen in der ganzen schwarzgelackten Pracht erschauern, mit der sie einem aus dem Buch „Animalinside“ entgegenstarren. Man könnte sich aber auch an einem herbstfeuchten Abend – dem September haben die letzten Stunden geschlagen – vor das Collegium Hungaricum in der Berliner Dorotheenstraße begeben und eine Performance erleben, zu der auch das Vorbeisirren der Straßenbahn gehört und das Brausen, das sich von Unter den Linden dazugesellt. Auf dem riesigen Bildschirm, der mitsamt zwei Fensterstreben in die Fassade eingelassen ist, glühen die Gemälde von Max Neumann auf, die er für diese malerisch-dichterische Kollaboration geschaffen hat. Bilder, die die Illusion des Raumes scheuen, weil sie fast alles in der klaustrophobischen Situation der Fläche zusammenführen. Und von der Loggia im vierten Stock rezitiert Krasznahorkai auf Deutsch die ungarischen Texte, zu denen ihn die Bilder seines Freundes inspiriert haben.

So, wie er im Profil dasteht, ist er von unten kaum zu erkennen. Darauf kommt es aber auch nicht an. „Achtung Tier“ ist ein Hörstück für Sprecherstimme mit ungarischem Akzent und bildnerischen Kontrasten. Zwischen den 14 Kapiteln das schmerzhafte Dräuen eines elektronischen Tones, das krachende Niederfahren eines Blitzes, dem kein Donner folgt, höchstens das Nachbeben von Krasznahorkais leicht brüchiger Stimme. Und dann ist er, ohne die geringste Anstalt, sich von seinem Publikum zu verabschieden, auch schon weg, verdunstet in die Nacht. Von Max Neumann ohnehin keine Spur. Und vor dem Eingang zum Hungaricum erinnert nur noch ein einsamer Tierkäfig daran, dass hier gerade eine Dreiviertelstunde von einem Eingeschlossensein in eine sich zwanghaft reflektierende Existenz die Rede war, die zusammenfällt mit einem Ausgeschlossensein von allem, was diese Existenz außerhalb ihrer selbst ergreifen könnte. Ihr bleibt nur ein lang anhaltendes Geheul.

Schwer zu sagen, was die angemessenere Art ist, sich „Animalinside“ auszusetzen: die Lektüre des edel gedruckten Buches (The Cahiers Series, Center for Writers & Translators of The American University of Paris, 42 S., 12 €, www.sylpheditions.com), das derzeit nur in der von Ottilie Mulzet klangvoll übersetzten englischen Originalausgabe vorliegt, oder die Aufführung in einer Umgebung, die sich der Unendlichkeit öffnet, die Text und Bilder verweigern. Es gibt keinen ursprünglichen Aggregatzustand für die Verzweiflung, die sich in Krasznahorkais Denkbildern austobt – wenn dieser Begriff für ein Denken, das längst zu einem rasenden Stillstand gekommen ist, überhaupt taugt.

Die nächsten Verwandten dieses postapokalyptischen Entwurfs sind der Varietéaffe Rotpeter aus Kafkas „Bericht an eine Akademie“ und Becketts irrlichternde Bewusstseinsgespenster. Heilloser als bei „Animalinside“ kann es jedoch nicht zugehen. Nach allen letzten Fragen quält die beiden letzten Hundewesen nur noch eine allerletzte Fragen: „Wer von uns wird König sein?“

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