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Personalsorgen: Die fantastischen Vier

Kultursenator Klaus Wowereit und sein Staatssekretär André Schmitz diskutieren sich die Köpfe heiß: Die großen Klassik-Institutionen Berlins benötigen neue Chefs. Der Startschuss für eine Intendanten-Karussellfahrt?

So ruhig war ein Saisonstart in der hauptstädtischen Klassik-Szene selten. Die Maestri dirigieren ihre Einstiegsprogramme, die Opernhäuser bringen erste Inszenierungen heraus – und die Kulturpolitik hält still. Keine zermürbenden Debatten über die Sanierung altehrwürdiger Häuser, keine Sparankündigungen, keine Umstrukturierungspläne. Im stillen Kämmerlein aber, so darf man zumindest hoffen, diskutieren sich Kultursenator Klaus Wowereit und sein Staatssekretär André Schmitz die Köpfe heiß. Denn sie haben vier richtig wichtige Personalentscheidungen zu treffen.

Das dringlichste und zugleich heikelste Problem ist die Staatsoper. Da Daniel Barenboim Unter den Linden als absolutistischer Herrscher regiert, wird sich wohl nur schwer ein Kulturmanager von Rang finden, der bereit ist, den Haushofmeister für den Dirigenten zu spielen. Peter Mussbach, der letzte Intendant des Hauses, wurde zwar im Mai von der Politik gefeuert – Auslöser der Führungskrise war jedoch Barenboims Interessenpolitik. Nachdem die Kanzlerin höchstpersönlich eine Etaterhöhung für die Operntrias veranlasste, wollte Barenboim seine Staatskapelle fürstlicher ausstatten. Mussbach hielt dagegen, wollte die szenische Seite stärken, und verlor seinen Job.

Interims-Intendant ist nun Ronald Adler, ein theatererfahrener Mann, der aber einerseits gerade erst aus München nach Berlin gewechselt war und die hiesigen Verhältnisse noch nicht ausreichend kennt, zum anderen charakterlich keine Führungspersönlichkeit ist, sondern einer dieser bienenfleißigen Arbeiter hinter den Kulissen, ohne die das Gesamtkunstwerk Oper nicht funktioniert.

Da sich Daniel Barenboim als chronisch vielbeschäftigter Weltkünstler in Berlin ausschließlich um die eigenen Projekte kümmern kann, gibt es einen – wenn auch unglamourösen – Lösungsweg. Wowereit und Schmitz könnten einen uneitlen Pragmatiker engagieren, der sein Programm um die Termine des Chefs herumbaut, der sich aber vor allem als Herbergsvater versteht, als liebevoller Betreuer der so gegensätzlichen Abteilungen des Riesenunternehmens Opernhaus, als interner Streitschlichter und Stimmungsaufheller. Einen Mann wie den Cottbuser Intendanten Martin Schüler beispielsweise, der seit 1992 an seinem Haus gezeigt hat, dass die beste Kunst in heiterer, kollegialer Atmosphäre entsteht.

Mit einem klassischen Generationswechsel hat es die Politik am Fall des Konzerthauses zu tun: Frank Schneider verabschiedet sich im kommenden Sommer in den Ruhestand, nach 17 glanzvollen Jahren, in denen er ein Programm von höchstem Anspruch realisiert hat. Hier geht es nun darum, einen Kulturmanager der jungen Riege zu installieren. Sebastian Nordmann von den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern fällt einem da ein, er hat im Norden ein erfolgreiches Festival etabliert. Der neue Konzerthaus-Chef braucht in jedem Fall frischen Mut: Lothar Zagrosek, der Chefdirigent des hauseigenen Konzerthausorchesters, der auch als Ko-Intendant fungiert, kämpft unermüdlich dafür, dass seine Musiker im stadtinternen Vergleich aus der Gagen-Schlusslichtposition herauskommen. Wowereit allerdings hat wiederholt betont, das Konzerthaus könne mit keinem zusätzlichen Euro rechnen. Entscheidet sich Schneiders Nachfolger dafür, die Musikergehälter zu erhöhen, müsste er seinen Eigenveranstaltungsetat auflösen. Damit aber verlöre das Konzerthaus seinen größten Trumpf gegenüber der Philharmonie. Während der Scharoun-Bau nämlich eine reine Vermietungsbude ist, wenn die Philharmoniker ihn nicht brauchen, kann das Konzerthaus derzeit noch mit eigenen thematischen Konzertreihen und gezielt eingeladenen Gastkünstlern künstlerisches Profil zeigen.

Unter den Linden regiert ein Sonnenkönig, an der Herbert-von-Karajan- Straße eine basisdemokratische Räte-Republik. Im Ergebnis ist das für einen Kulturmanager kaum einfacher: Denn bei den Berliner Philharmonikern kommen erst die Musiker, dann folgt der Chefdirigent und ganz weit unten in der Hierarchiepyramide schließlich der Intendant. Die aktuelle Amtsinhaberin Pamela Rosenberg ist eigentlich durchaus bereit, im Schatten der Großen zu arbeiten. Als mitdenkende Macherin hinter Klaus Zehelein hat sie wesentlich zur glanzvollen Ära der Stuttgarter Oper beigetragen, ohne sich selber ins Rampenlicht zu drängen. Doch selbst Rosenberg mochte sich mit den philharmonischen Verhältnissen nicht abfinden. Obwohl ihre Projekte wie die kostenlosen Lunchkonzerte prächtig laufen, kündigte sie im Frühjahr an, 2010 gehen zu wollen, um sich Projekten zuzuwenden, bei denen sie alleine den Hut auf hat.

Für diese Planstelle, die das Orchester eigentlich gar nicht will, aber zur Erledigung administrativer Schwarzbrotarbeit dennoch benötigt, kommt wohl nur ein elder statesman mit diplomatischem Geschick infrage, vielleicht ein klassikaffiner Bildungsbürger wie der scheidende Deutschlandradio-Intendant Ernst Elitz.

Im Klassik-Business planen die begehrtesten Künstler bis zu vier Jahre im Voraus. Wenn also der Vertrag von Kirsten Harms als Intendantin der Deutschen Oper Berlin bis zum Sommer 2011 läuft, dann ist das in der Branche schon übermorgen. Deshalb muss noch in diesem Jahr beschlossen werden, ob ihre Ära an der Bismarckstraße andauern soll. Über Harms’ künstlerische Erfolge seit ihrem Amtsantritt 2004 kann man streiten, ihr Chefregisseur Alexander von Pfeil war ein Totalausfall, Generalmusikdirektor Renato Palumbo so unbeliebt, dass er sich zurückzog. Katharina Wagner mochte zwar noch in Bremen „Rienzi“ inszenieren, aber für die geplante Ausgrabung von Respighis „Marie Victoire“ im April 2009 in Berlin hatte die künftige Bayreuther Hügelprinzipalin keine Zeit mehr.

Harms scheint vom Pech verfolgt zu sein. Aber es ist ihr gelungen, eine gewisse Ruhe in die Deutsche Oper zurückzubringen, in dem von den Zeitläuften kräftig geschüttelten Haus wieder eine kreative Arbeitsatmosphäre herzustellen. Deshalb könnte die Politik ihren Vertrag verlängern, um zwei Jahre, als Geste der Dankbarkeit. Gleichzeitig aber müsste Wowereit so schnell und so früh wie möglich einen Nachfolger präsentieren, für die Zeit ab 2013, wenn die Staatsoper in ihr originalgetreu renoviertes Stilmöbelhaus Unter den Linden zurückkehrt und alle Öffentlichkeitsaufmerksamkeit auf sich zieht. Dann sollte in der Bismarckstraße ein künstlerisches Gegenfeuerwerk zünden, organisiert von einem Kulturmanager, der das hat, was Kirsten Harms fehlt: einflussreiche Freunde.

Nur wer global perfekt vernetzt ist, wer die weltweit umworbenen Spitzenkünstler schon lange privat kennt, dem gelingt es, sie auch für spektakuläre Projekte an die Deutsche Oper zu locken, für Rollendebüts, für überraschende Zusammenarbeiten. Michael Haefliger wäre so ein Kulturmanager-Schwergewicht. Leider hat er gerade beim Lucerne Festival bis 2015 verlängert. Sponsoren-Darling Andreas Mölich-Zebhauser will sein Festspielhaus Baden-Baden eigentlich bis 2022 führen, wenn die Immobilie endlich abbezahlt ist. Bliebe Jürgen Flimm, der vom Publikum vergötterte Salzburger Festspielchef. Er ist in Österreich übrigens genau bis 2011 gebunden. Allerdings wäre er dann 70 Jahre alt.

Eine kaum lösbare Aufgabe: Offenbar fehlt es an profiliertem IntendantenNachwuchs. Klaus Wowereit sollte sich bei der Suche von Enrico Caruso leiten lassen. Wie sagte der Tenor doch über Verdis „Trovatore“: „Es ist ganz einfach, diese Oper zu besetzen: Man braucht nur die vier besten Sänger der Welt.“

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