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Optimistisch bis in den Tod. Péter Esterházy, 1950 – 2016.

© Carmen Jaspersen/picture alliance / dpa

Péter Esterházys letztes Buch: Der Tod ist ein Langweiler

Letzten Sommer starb der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy. In seinem nun erschienenen „Bauchspeicheldrüsentagebuch“ gibt er letzte Auskünfte. Auch ein Gesprächsbuch ist erschienen.

Als der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy vergangenen Sommer mit nur 66 Jahren starb, wunderte sich niemand über die Nachricht, war doch bekannt geworden, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs litt. Letzte Fotos zeigten ihn, der immer so berstend lebensfroh gewesen war, mit schlank gewordenem, ernstem Gesicht. Die wallend weiße Löwenmähne, auf die er so stolz gewesen war, hatte sich in einen silbernen Vogelflaum verwandelt. Als „stummer Löwe“, eine seiner väterlichen Lieblingsdarbietungen für seine Kinder, kam er da nicht mehr in Frage.

Ein Tagebuchschreiber ist Esterházy nie gewesen. Erst das Unheil seiner Krankheit habe ihn „unter das Joch der Sätze“ gezwungen. Am 24.5.2015 begann er das „Bauchspeicheldrüsentagebuch“ so: „Krebs, das ist das richtige Anfangswort.“ Und beendete es am 2.3.2016, vier Monate vor seinem Tod, mit dem Eintrag: „Ich verbessere das Immer in Ewig“. So weit reichten Kraft und Humor und seine „ontologische Heiterkeit“ noch aus, die er sich durch den onkologischen Befund nicht nehmen lassen wollte. So lange ließ es sich leugnen, dass er nicht bloß krank war und seinen Körper mit Chemotherapien malträtierte, sondern dass er sterben würde nach aller statistischen Wahrscheinlichkeit.

Gegen den Krebs hilft keine Ironie

Er aber glaubt hartnäckig an den guten Ausgang der Dinge, an das Leben als Geschenk und an die Liebe als die größte Idee Gottes, an einen ansprechbaren, im Gebet zu erschaffenden Gott und sogar daran, dass der Mensch gut sei. Er verfällt lediglich in den Seinsmodus des „Noch“: Noch ist nichts passiert außer der Diagnose und dem Schmerz unterhalb der Rippen. Noch ist er da. Der Tod kommt für ihn nicht infrage, weil glückliche Menschen doch eigentlich unsterblich sind. Seine Krankheit betrachtet er, als wäre sie etwas Vorübergehendes, was sich durch das genaue Protokollieren der Befindlichkeiten überstehen ließe. Doch gegen den Krebs hilft keine Ironie, und als aus dem Scherzen ein „Schmerzen“ wird und auch das „Deprimieren“ sich in ein Tätigkeitswort verwandelt hat, wird der Handlungsspielraum klein: „Ich deprimiere“.

Péter Esterházy: "Als lebte ich im Stand-by-Modus"

Das Letzte, was im Schwinden der Kräfte noch zunimmt, ist die Konzentration auf den leidenden Körper: wie er schwitzt, hustet, Übelkeit oder Hunger produziert und ob die Haare ausfallen oder bloß dünner werden. Das Schreiben geht zwar weiter, auch wenn es schwerfällt und die Pausen länger werden, aber die Gedanken kommen schon nicht mehr ganz mit. Auch die Sprache verwandelt sich in eine Körperfunktion, die bloß noch dazu dient, das Leben aufrechtzuerhalten. Das ist als Lektüre weder erquicklich, noch erhellend. Esterházy weiß es selbst, wenn er aus Harold Brodkeys „Die Geschichte meines Todes“ – ein Buch, das ihn begleitet – zitiert: „Der Tod ist ein Langweiler“.

Denn krank sein ist öde, und die Stunden werden lang, während die Chemo-Flüssigkeit aus der Infusionsflasche in die Venen tropft. Die Tage verrinnen, die Disziplin schwindet, die Routine des medizinischen Zugriffs übernimmt die Macht. Seltsam, dass der Patient nie die Frage stellt, ob sich all diese Therapien denn lohnen, ob ein bisschen Zeitgewinn den Verlust an Daseinsqualität und Genussfähigkeit tatsächlich aufwiegt. Stattdessen beobachtet er, was die Chemikalien in seinem Körper anrichten und wie er selbst zu einem Gegenstand wird, der hin und her geschoben wird. „Ich schlafe vor mich hin, als lebte ich im Stand-by-Modus, bis Mittag. Ich warte darauf, was sie mit mir machen werden.“

Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy wenige Wochen vor seinem Tod. Er starb am 9. Juni 2016.
Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy wenige Wochen vor seinem Tod. Er starb am 9. Juni 2016.

© picture alliance / dpa

Gut, dass das „Bauchspeicheldrüsentagebuch“ von einem strotzenden, auskunftsfreudigen Erinnerungsbuch begleitet wird, das dem Verlöschen die volle Lebenslust entgegensetzt. „Die Flucht der Jahre“ ist ein langes Gespräch, das die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Marianna D. Birnbaum 2014 mit Esterházy führte. Eigentlich ist es weniger ein Gespräch als ein Fragebogen, den er penibel ausgefüllt hat. Das wirkt deshalb stellenweise hölzern und gekünstelt, weil die Gesprächsform von der Schriftlichkeit ad absurdum geführt wird. Ob er nach Kinderkrankheiten oder Katholizismus gefragt wird, nach Fußball, Familie, Gott oder dem Anfang des Schreibens – keine Frage ist klein genug oder zu groß, um nicht geduldig beantwortet zu werden.

Beide Esterházy-Bücher sind wie die Tag- und Nachtseite des Lebens

Die Krebsdiagnose ist fern, so dass er sein Krankenleben als „verkümmert“ bezeichnen kann. In dieser autobiografischen Plauderstunde wird Esterházy tatsächlich in seiner „ontologischen Heiterkeit“ sichtbar und als Schriftsteller, der sich „die Tatsachen abgewöhnt“ hat, damit die Wahrheit „unserer Hoffnung entsprechend zur Dichtung“ werde. Beide Bücher sind wie die Tag- und Nachtseite des Lebens. Man sollte sie zusammen lesen und mit dem Tag beginnen, um dann im Krebstagebuch mitzuerleben, wie ein gläubiger Optimist zwar nicht seinen Optimismus verliert, aber doch immer kleiner wird und schließlich erlischt. Mehr ist das nicht.

Péter Esterházy: Bauchspeicheldrüsentagebuch. Aus dem Ungarischen von György Buda. Hanser Berlin, 240 Seiten, 20 €.Marianna D. Birnbaum: Die Flucht der Jahre. Ein Gespräch mit Péter Esterházy. Aus dem Ungarischen von Lacy Kornitzer. Hanser Berlin, 160 Seiten, 20 €.

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