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Kultur: Peter Konwitschnys Verdi-Deutungen: Erleuchtung garantiert

"Kurz ist das Leben, lang währt die Kunst", postulierte Hippokrates. Ein schöner Aphorismus, doch gültig nur für jene Zeiten, die das Regietheater noch nicht kannten.

"Kurz ist das Leben, lang währt die Kunst", postulierte Hippokrates. Ein schöner Aphorismus, doch gültig nur für jene Zeiten, die das Regietheater noch nicht kannten. So resistent sich die Werke der Maler und Dichter, Bildhauer und Komponisten erweisen, so vergänglich ist die Inszenierungskunst. Zur Premiere herrscht die größte Spannung, zehn, zwölf Abende lang lässt sich das Niveau halten, dann verblassen die Farben des Spiels, Routine führt den Sängern die Hand, bis die Primadonna schließlich darauf besteht, ihr eigenes Kostüm mitzubringen. An solchen Abenden möchte man die Provinz glücklich preisen, wo Inszenierungen jung sterben, weil sie mangels Zuschauermasse meist nur eine Spielzeit zu sehen sind.

Und doch kann der Zwang zum schnellen Wechsel auch schmerzhaft sein, wenn ihm besonders geglückte Produktionen geopfert werden bevor alle, die sie sehen sollten, Gelegenheit dazu gehabt hätten. Als Gerhard Brunner 1990 Intendant in Graz wurde, präsentierte er gleich in der ersten Saison einen Mann, den kaum jemand im internationalen Musiktheaterbusiness kannte: Peter Konwitschny. Vier Mal ist der in Leipzig aufgewachsene und am Berliner Ensemble sensibilisierte Stückedeuter mittlerweile von der Fachzeitschrift "Opernwelt" zum "Regisseur des Jahres" gekürt worden. Brillanter und einfühlsamer als er durchleuchtet derzeit wohl keiner die Evergreens des Repertoires, überzeugender als unter seiner Leitung sieht man singende Darsteller kaum je agieren. Mit seiner "Verkauften Braut" stieß er vor zehn Jahren das Grazer Publikum vor den Kopf, die Tumulte bei seiner 1994er "Aida" konnten sich durchaus mit dem Skandal der "Sacre du Printemps"-Uraufführung messen. Doch Brunner stand zu Konwitschny, und so kam Graz zu sieben Produktionen des Ausnahmeregisseurs.

Nun aber endet die elfjährige Ära Brunner. Die künftige Intendantin Karan Stone schickt die Konwitschny-Produktionen in den Schredder. Darum schenkte Gerhard Brunner sich und seinen Zuschauern zu guter Letzt noch einmal die drei wichtigen Verdi-Deutungen des Regisseurs, "Macbeth", "Aida" und "Falstaff", geistig verklammert durch ein Symposion, das im Rahmen des 100. Verdi-Todestags nach dem "uomo di teatro" fragte. Dass am Theatermann Verdi in Theorie wie Praxis kein Weg vorbeiführt, machten die Vorträge deutlich, von Gundula Kreuzers spannenden Erläuterungen zur Verdi-Vereinnahmung durch die Nazis bis hin zu Christoph Wagner-Trenkwitzs Anmerkungen über Verdis Anteil an der szenischen Umsetzung seiner Ideen. Dass Peter Konwitschny zu jenen gehört, die Verdis Credo "servire il dramma" am nächsten kommen, wie Tagesspiegel-Redakteurin Christine Lemke-Matwey in ihrem Porträt des Regisseurs mit bewegt-bewegenden Worten umriss, war abends zu erleben.

Theatergeschichte hat vor allem die "Aida" geschrieben, die der Regissseur auf kompromisslos konsequente Weise von ihrem Image als Spektakeloper befreite. Jörg Koßdorff, sein Bühnenbild-Partner in allen Grazer Neuinszenierungen, hat ein enges, weiß getünchtes Zimmer gebaut, in dem sich eine tödliche Dreiecksgeschichte abspielt. Konwitschny zeigt nur das Kammerspiel - Chor, Statisten und Elefanten müssen draußen bleiben. Durch eine Tür dringt der Triumphmarsch ans Hörerohr, zu sehen aber bekommt er nur den Pharao, seine Tochter und den Oberpriester, die zu den pompösen Klängen mit Sekt und Faschingshütchen den Sieg über die Äthopier feiern. Aida, die Sklavin, muss am Ende die Reste der Orgie wegfegen. Dazu erklingt unter der Leitung des Grazer Chefdirigenten Wolfgang Bozic die abgenudelte Leierkastenmusik schärfer, marzialister, beängstigender, als man sie wohl je gehört hat.

In Momenten wie diesem offenbart sich Konwitschnys Stärke: Seine Bilder helfen, die Partitur neu zu hören, durch den Vorhang der Tradition wieder das Original zu erkennen. Der Sohn des Dirigenten Franz Konwitschny entwickelt seine Konzepte, indem er gleichermaßen auf die Töne wie die Worte hört. Die Ergebnisse dieser Recherche muten nur dem oberflächlichen Betrachter "modern" an - wer sich auf sie einlässt, findet Werktreue im produktivsten Sinn.

So verhilft Konwitschny Verdis "Macbeth" zu voller Entfaltung, indem er dort drastisch wird, wo sich der junge Komponist noch den Opernkonventionen seiner Zeit beugt. Die Hexen in ihrer herrlich siffigen Hinterhofküche lässt Konwitschny so krachendvolkstheaterhaft chargieren, dass sie zu jenen komischen Figuren werden, denen man bei Shakespeares allenthalben begegnet: Der Kontrast ihrer schrillen Exzentrik mit dem inneren Drama des Königspaars aber verleiht der Tragödie erst die rechte Wucht.

Wie es Peter Konwitschny gelingt, Chor wie Solisten zu sensationell motivierten Vermittlern der Interpretationen zu machen, bleibt sein Geheimnis. Die Bühnenwirksamkeit der Figuren hat dabei nichts mit dem Aktionismus des Musiktheaters der achtziger Jahre zu tun. Konwitschny muss seine Personen nicht gegen Wände prallen lassen, wenn er innere Zerrissenheit zeigen will. Seine Solisten entwickeln ihre Charktere aus dem Inneren heraus - aus innerer Überzeugung. Jacek Strauch zum Beispiel, der an den drei Abschiedsabenden sowohl Macbeth, Falstaff als auch Aidas Vater Amonasro singt. Ein wuchtiger Bassbariton von der Physiognomie eines traurigen Eisbärs, in dessen Stimme vokale Power und schier grenzenlose Ausdrucksintensität verschmelzen: Ob er tobt oder im Machtrausch rast, ob er leidet, sich in Angstfantasien windet oder die Eitelkeit der Welt verlacht - hier steht ein Mensch, der von echten Gefühlen und bitteren Wahrheiten erzählt.

So virtuos Konwitschnys Personenführung ist - er will kein Rattenfänger sein, kein Dompteur im Identifikationstheater. Dass romantisches Glotzen auf die Dauer dem Denkvermögen schadet, weiß er aus seinen Jahren am Berliner Ensemble. Darum ist sein Theater immer auch ein Theater-Spielen: Die Inszenierung reflektiert sich selber, wenn technische Abläufe bewusst sichtbar werden, wenn er zwischen Naturalismus und Symbolsprache wechselt. Im "Falstaff", Konwitschnys letzter Arbeit für Graz, erinnert das Spiel mit den Ebenen ans "Zeit"-Kreuzworträtsel. Hier wird um die Ecke gedacht, dass den Zuschauern der Schädel brummt. Der Regisseur lässt seine Grazer Jahre Revue passieren: In einem Schuttcontainer verschwinden nach und nach Requisiten aus allen sieben Inszenierungen. Ist es womöglich besser so, dass mit dem Ende der Intendanz Brunners die Geistesprodukte seines Lieblingsregisseurs eingestampft werden? Müssten diese Meisterwerke nicht um die Welt gereicht werden, zur Herz- und Hirnbildung der Opernmuseumsbesucher, als Messlatte für jedes Theater, das etwas auf sich hält? "Die Regiebücher", sagt seine Assistentin bei der Dernièrenfeier, "habe ich jedenfalls aufgehoben."

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