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Kultur: Petze und Hetze

„Wehr dich, Mathilda!“ im Grips-Theater

Wenn sich das Fernsehen mit dem Thema Mobbing beschäftigt, sind gern schmallippige Karrieristen in gläsernen Top-Etagen zu besichtigen. Die Wirklichkeit ist leider variantenreicher: Verteilungs- und Verdrängungskämpfe entscheiden auch schon über die Spitzenposition auf dem Klettergerüst. Knapp ein Drittel aller Berliner Schüler gab in einer Studie der Weltgesundheitsorganisation an, schon einmal gemobbt worden zu sein. Mehr als vierzig Prozent bekannten, bereits selbst aktiv gemobbt zu haben; und jüngsten Statistiken zufolge steigt das Gewaltpotenzial an Grundschulen.

Auf einem Grundschulhof spielt denn auch das neue Kinderstück „Wehr dich, Mathilda!“, das Ilona Schulz und Boris Pfeiffer nach dem Roman der schwedischen Autorin Annika Holm für’s Grips-Theater geschrieben haben. Egal, wie viel Kuchen Mathilda (Kathrin Osterode) ihren Mitschülern anbietet, wie oft sie sie zur Besichtigung ihrer heimischen Springmaus-Population einlädt und wie fern ihr das Einschleimen bei der Lehrerschaft liegt: Für den Klassenkasper Rico (Daniel Jeroma) und seine Erfüllungsgehilfin Yasemin (Katja Hiller) ist Mathilda schlicht „die Petze“ oder „das Baby“.

„Wehr dich, Mathilda!“ gehört nicht zu den Kindertheaterstücken, die fahrlässig vereinfachen: Der kleine Nachwuchs- Macho Rico entstammt weder einer sogenannten Problemfamilie, noch muss er als unangefochtenes Mathe-As der Klasse mangelnde geistige mit physischer Potenz kompensieren. Und die Pädagogin Fried (Ester Daniel) gehört ebenso wenig zur zahlenstarken Burn-Out-Fraktion ihrer Berufsgruppe wie Mathildas Vater zum Rabeneltern-Typus. Eigentlich sind hier alle Erziehungsbeauftragten mit Lust bei der Sache und aus Überzeugung fair – und merken trotzdem nichts. Denn die ungeschriebene Schulhofregel, dass eine Petze ihre Denunziantenmentalität doppelt und dreifach heimgezahlt bekommt, gilt auch anno 2007 unverändert.

Der bewährte Grips-Regisseur Rüdiger Wandel hat „Wehr dich, Mathilda!“ mit dem theatereigenen kurzweiligen Aktionismus inszeniert: Es wird viel an Klettergerüsten oder zweckentfremdeten Regenrinnen geturnt (Bühne: Kristina Hoffmann), gesungen und zu Michael Brandts Live-Gitarren-Einlagen gerockt. Der Konflikt löst sich am Ende in der Grips-typischen Ermutigungsrhetorik. Der wankelmütige Klassenneuling Lurian (Jens Mondalski) kann sich doch noch dazu durchringen, auch öffentlich zu Mathilda zu stehen und mit ihrer Hilfe dem kleinen Macho eine derart läuternde Abreibung zu verpassen, dass man am Schluss vor lauter Freundschaftsbekundungen fast eine Massenumarmung befürchten muss. Da dürfte sich die Berliner Schulhofwirklichkeit ein bisschen bockiger anstellen. Andererseits: Gläserne Topetagen-Vertreter üben – Stichwort Unternehmenstheater – innerbetriebliche Konfliktbewältigung angeblich auch in Rollenspielen.

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