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Philharmoniker: Musikfest will auf Flughafen Tempelhof abheben

Im Hangar 2 findet das große Finale des Berliner Musikfestes statt, wird das Ensemble Intercontemporain Messiaens Zwei-Stunden-Opus „Des canyons aux étoiles“ aufführen, werden die Berliner Philharmoniker sein „Et expecto“ spielen.

Fragt man Claudio Abbado, was für ihn höchstes künstlerisches Glück bedeutet, antwortet der Dirigent: Fliegen. Nicht im karajanschen Sinne am Steuerknüppel des Privatjets, sondern in geschlossenen Räumen. Wenn Musiker und Maestro zur perfekten Symbiose gelangen, wenn jeder jedem zuhört, das Ganze aus dem bewussten Miteinander autonomer Stimmen entsteht, dann, so Abbado, hat er das Gefühl zu schweben, abzuheben.

Beim „Musikfest Berlin 08“, das sich diesmal den gedanklich himmelwärts strebenden Komponisten Olivier Messiaen, Anton Bruckner und Karlheinz Stockhausen verschrieben hat, waren einige solcher Höhenflüge zu erleben. Gleich zu Beginn am 5. September berauschte der unverwechselbare Sound des Amsterdamer Concertgebouworkest, drei Tage später entzückte das Orchestre de Paris mit luziden, traditionell französischen Klangfarben. Ein Glaubensbekenntnis zur Moderne lieferte das SWR-Sinfonieorchester unter Sylvain Cambreling, und Daniel Barenboim widmete seinem Komponistenfreund Elliott Carter mit der Staatskapelle ein bewegendes Porträtkonzert. Dass übrigens alle hauptstädtischen Orchester im internationalen Vergleich mithalten können, gehört auch diesmal wieder zu den beglückenden Erkenntnissen dieses Musikfests.

Am Donnerstag setzte das Orchestre des Champs-Elysées den Schlussstein des Bruckner-Schwerpunkts. Die achte Sinfonie den auf Darmsaiten spielenden Franzosen anzuvertrauen, war ein coup des Musikfest-Machers Winrich Hopp, die gespannte Vorfreude des Publikums in der Philharmonie deutlich zu spüren. Dann aber fiel die Erleuchtung doch aus, die Interpretation Philippe Herreweghes zeigte deutlich die Grenzen der sogenannten historischen Aufführungspraxis. Näher bei Schubert als bei der Moderne sieht der Dirigent Bruckners Klangkosmos, geprägt von Melancholie statt von der Ahnung kommender Katastrophen. So unterdrückt Herreweghe in den ersten beiden Sätzen geradezu die Blechbläser, kaschiert alle Brüche des apokalyptischen Allegro, rück das Scherzo gar in Mendelssohn-Nähe. Im Adagio sucht er Tiefgründigkeit, vermag aber rein schlagtechnisch die Spannung nicht durchgängig zu halten. Weil er sich zudem ganz auf Struktur kapriziert und die Bedeutung der Klangfarbe für Bruckner herunterspielt, wird die Sache glanzlos, wirkt vieles nur nachbuchstabiert. Fast meint man das Befremden der Musiker diesem klingenden Monolithen gegenüber zu spüren. Der Komponist selber glaubte, gerade die Achte sei erst für „spätere Zeiten“ gedacht. Aus der Vergangenheit kommend, so wie Herreweghe und seine Alte-Musik-Spezialisten, ist dieser Partitur wohl noch weniger beizukommen als mit dem Wissen im Kopf, was die Avantgarde diesem katholischen Anarchisten alles zu verdanken hat.

Nicht nur die Dur-Moll-Tonalität, auch den Schutzraum des bürgerlichen Konzerthauses ließen die nachfolgenden Generationen hinter sich. Mit dem Umzug von der Philharmonie zum Flughafen Tempelhof vollzieht das Musikfest diesen Schritt nach: Im Hangar 2 findet das große Finale statt, wird das Ensemble Intercontemporain Messiaens Zwei-Stunden-Opus „Des canyons aux étoiles“ aufführen, werden die Berliner Philharmoniker sein „Et expecto“ spielen, 1964 erdacht „für große Räume: Kirchen, Kathedralen, sogar die freie Natur und die hohen Berge“. Oder eben eine 4200 Quadratmeter große, 18 Meter hohe Halle.

Extrem raumgreifend ist auch das zweite Philharmoniker-Stück, Stockhausens „Gruppen“: Drei Orchester bilden einen Halbkreis, jedes Ensemble spielt nach eigenem Zeitmaß, beschleunigt und verlangsamt individuell, die Kollektive driften auseinander und treffen sich wieder. Michael Boder, Daniel Harding und Simon Rattle werden versuchen, Luftbrücken zum Publikum zu bauen.

Die Philharmoniker-Konzerte sind ausverkauft, das Education-Projekt zu „Gruppen“ am Sonnabend, 18.30 Uhr, ist kostenlos, für das Ensemble Intercontemporain am Sonntag, 17 Uhr, gibt es Restkarten.

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