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Kultur: Philosophie in die Beine!

Der Tanzkongress in Düsseldorf diskutiert Fragen kultureller Übersetzung.

Von Sandra Luzina

Drei Tage des Deliriums waren es für den aus New York angereisten Tanztheoretiker André Lepecki. Ähnlich haben es wohl die meisten der rund tausend Teilnehmer des Tanzkongresses in Düsseldorf empfunden. 250 Experten waren eingeladen. Eine lustvolle Überforderung war intendiert – das dichte Programm umfasste neben Vorträgen Labs, Workshops, Salons zu Themen wie die „Handlungsmächtigkeit“ des Körpers oder die Verflechtung von Kulturen.

Schon in der Weimarer Republik gab es die Tanzkongresse. An diese unterbrochene Tradition knüpfte die Kulturstiftung des Bundes 2006 in Berlin wieder an. Damals hieß das Motto „Wissen in Bewegung“. Der Versuch, Tanz als Wissenskultur zu definieren, wirkte wie eine Initialzündung. Die dritte Ausgabe zeigte einmal, dass es ein transdisziplinäres Bedürfnis nach Austausch gibt.

Das Düsseldorfer Treffen legte den Fokus nun auf Übersetzungsprozesse zwischen Kulturen und Körpern, Sprache und Bewegung. Tanz ist Übersetzen – diese These ist verführerisch, überzeugend und überladen zugleich, legte Gabriele Klein dar. Sie will in einem Forschungsprojekt untersuchen, wie sich in den internationalen Koproduktionen von Pina Bausch ein kulturelles Übersetzen vollzieht. Die politischen Dimensionen dieses Transfers machte die Eröffnungsproduktion „La création du monde 1923 – 2012“ deutlich, die der kongolesische Choreograf Faustin Linyekula mit dem Ballet de Loraine erarbeitet hat.

Im Mittelpunkt steht eine Rekonstruktion des „ballet nègre“, das der Schriftsteller Blaise Cendrars, der Komponist Darius Milhaud, der Maler Fernand Léger und der Choreograf Jean Börlin 1923 in Paris schufen. Eingebettet ist dies in einen heutigen Kommentar, der in eine bittere Anklage mündet. Nach dem Ersten Weltkrieg schufen die europäischen Künstler ein naiv-paradiesisches Bild von Afrika, blendeten dabei aber die Realität aus: die ökonomische Ausbeutung und politische Unterdrückung des schwarzen Kontinents. In einem wütenden Epilog fragt Linyekula nach der Rolle der Afrikaner – und seiner eigenen Rolle in diesem von Weißen imaginierten Ballett.

Dieser Blick zurück im Zorn rief sicher großes Unbehagen hervor, doch er warf auch Fragen nach der Aneignung des Fremden auf, die den ganzen Kongress durchzogen. Es gab auch Missverständnisse, wie man beim Dialog von Linyekula mit dem Philosophen Jean-Luc Nancy merken konnte. Nancys Frage: „Ein Philosoph kann über Tanz sprechen. Aber kann ein Choreograf Philosophie tanzen?“ Linyekula ließ sich davon nicht einschüchtern. Mit Blick auf die Geschichte des Kongo erklärte er: „Ich stehe zwischen Ruinen. Wie komme ich voran?“ Er besteht nicht nur darauf, die eigene Geschichte zu erzählen, er stellt auch beharrlich die Frage: Wie blicken Europa und Afrika aufeinander? Für ihn steckt darin immer noch eine Frage nach dem Verhältnis von Zentrum und Peripherie.

Gabriele Brandstätter, Professorin für Theater- und Tanzwissenschaft an der FU Berlin, wies darauf hin, dass auffallend viele Choreografen sich derzeit mit Tieren befassen. Sie versuchte, mit Donna Haraway zu zeigen, dass durch die künstlerischen Strategien des Tierwerdens im Tanz immer auch ethische Fragen berührt werden.

Einen starken Auftritt hatten die Choreografen William Forsythe, Anne Teresa de Keersmaeker und Martin Schläpfer, die einen Einblick in ihre Arbeitsmethoden gaben. Ihnen liegt es am Herzen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiterzugeben. Um Übersetzung geht es auch bei dem Pilotprojekt „Motion Bank“, das von Forsythe initiiert wurde. Hier wird nach Methoden gesucht, um digitale Tanzpartituren zu erstellen und damit choreografische Prozesse zu visualisieren.

Heute wird neu darüber nachgedacht, wie Werke der Tanzgeschichte für die Nachwelt erhalten werden können. Salomon Bausch, der Sohn der 2009 verstorbenen Tanzikone, berichtete vom Aufbau eines digitalen Archivs. Es ist ein Instrument für die Wuppertaler Tanztheater, um die Stücke von Pina Bausch lebendig zu halten. Doch es soll bald auch öffentlich zugänglich werden. Der Traum von einer Tanzbibliothek im Internet wurde erstmals greifbar. Sandra Luzina

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