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Kettet mich los, o ihr Geistesketten. Die Religionsphilosophin und Schriftstellerin Susan Taubes.

© ZfL Berlin

Philosophie: Mein schöner Teufelsknabe

Pariser Erleuchtungen anno 1952: Susan Taubes schreibt an Jacob Taubes.

Von Gregor Dotzauer

Sie waren ein Herz und doch nicht eine Seele. Was Susan Taubes, die empfindsame Religionsphilosophin, und Jacob Taubes, den messianischen Feuerkopf, verband, trennte die beiden auch bald schon wieder. Sie teilten die jüdische Herkunft und die Bewunderung für eine intellektuelle Tradition, aber schon im Urteil über das neu gegründete Israel als Lebensort waren sie sich nicht einig. Sie, in den USA groß geworden und als Tochter eines Psychoanalytikers säkular geprägt, konnte mit dem Jerusalem, wo er 1949 an der Hebräischen Universität eine Stelle als Assistent von Gershom Scholem bekam, nichts Heimatliches verbinden. Er dagegen, Sohn eines Rabbiners, konnte geradezu heilige Gefühle entwickeln. Ein bis heute nie geklärtes Zerwürfnis mit Scholem erledigte schließlich die praktische Frage eines dauerhaften Umzugs.

Bis sie jedoch, nach einem ersten gemeinsamen Ehejahr in Jerusalem, in Harvard wieder zueinanderfanden und eine Familie gründeten, führten sie weitgehend getrennte Leben. Wahre Brieffluten sollten die Distanz überbrücken – und dokumentieren bei aller zärtlichen Unterwürfigkeit in Susans Ton zugleich das frühzeitige Auseinanderdriften der Interessen. Der erste Band umfasste die Jahre 1950 und 1951. Der zweite nun sammelt die Briefe, die Susan als 24-Jährige 1952 von Paris aus, wo sie an der Sorbonne ihre geplante Dissertation über Heidegger vorbereitete, nach Jerusalem in die Greek Colony schrieb, und die deutlich weniger zahlreich erhaltenen von Jacob.

Es ist aber nicht nur die geringere Zahl der Komplementärbriefe, die auf ein Ungleichgewicht in dieser Beziehung hindeutet. Susans Überschwang in persönlicher Hinsicht wie das Fehlen jeglicher Scheu, sich an metaphysischen Welträtseln zu verheben, trifft bei dem fünf Jahre älteren Jacob auf eine gewisse Reserviertheit. Während sie sich – zumeist auf Englisch – seitenweise an ihr „beloved child“, den „schönen Teufelsknaben“ und „mein Schwänzchen“ wendet und kaum je ohne eine Umarmung und das Alpha-Omega-Zeichen schließt, hält er sich – zumeist auf Deutsch – knapper. Anders als noch im Jahr zuvor bringt er es in der Abschiedsformel nur selten zu mehr als einem „herzlich“. Bei ihrer Schreibwut kam selbst der schreibwütige Jacob wohl nicht mehr mit. Zugleich musste er mit der zornigen Entschiedenheit zurechtkommen, mit der sie ihn auffordert, Jerusalem zu verlassen.

Man kann diesen Band als Fortsetzung eines latenten Liebesdramas lesen, das 1969, zwei Jahre nach der Scheidung, in Susans Selbstmord einen brutalen Schlusspunkt fand. Oder man kann ihn zur intellektuellen Werkstatt zweier bedeutender Geister erklären, von denen der Mann die Frau viel zu lange in den Schatten stellte.

Die von Christina Pareigis wieder gründlich kommentierte Ausgabe scheint diese junge Susan sogar auf ein wissenschaftliches Podest heben zu wollen, auf das die Studentin bei allem Ingenium in dieser Phase dann doch nicht gehört: Vom gnostisch-existenzphilosophischen Höhenkamm, der sie von Heidegger just in dieser Zeit zur Mystik von Simone Weil führte, stürzt sie zumindest in ihren lyrischen Hervorbringungen so heftig ab, dass man auch das Denkerische nicht mehr ganz ernst nehmen mag:. „And it’s god cries in my veins“, heißt es da, „Unchain me Oh spirit chains / Keep me no longer / From the earth my belov’d / Oh let me fall upon her / And mingle our blood“. Gütiger Dichterhimmel.

Der besondere Wert dieses Bandes, zu dem das Nachwort in Teil eins den Kontext liefert, besteht in dem Epochenbild, das er entwirft. Denn Susan gerät in Paris unter die größten zeitgenössischen Geister Frankreichs. In einem Kurs über Heidegger und Hölderlin – und beim Lunch – begegnet sie dem „little monster“ Jean Wahl. Zum Dinner trifft sie Emmanuel Levinas. Im Hotel d’Angleterre besucht sie für ein paar Minuten Hannah Arendt und verabredet sich in der Bibliothèque Nationale mit der Philosophin und Weil-Biografin Simone Pétrement.

Bei Albert Camus, im „Mythos von Sisyphos“, entdeckt sie Jacobs talmudistische Lehre wieder, derzufolge wir auf Erden nicht dazu da sind, um die Absurdität unserer Lage zu verstehen, sondern um mit ihr zu leben. Und „Der Mensch in der Revolte“ verleitet sie nicht nur zu einer Besprechung, sondern auch zu einem langen Brief, in dem sie Camus davon überzeugen will, dass er den grausamen Gott des Alten Testaments nicht als jüdische Idee missverstehen dürfe. Auch seine Antwort wird hier überliefert.

Susan Taubes:Die Korrespondenz mit Jacob Taubes 1952. Hrsg. von Christina Pareigis. Wilhelm Fink Verlag, München 2014. 314 Seiten, 39,90 €.

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