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Kultur: Piano aus 200 Kehlen

Donald Runnicles, künftiger Chefdirigent der Deutschen Oper, bei den Berliner Philharmonikern

Hector Berlioz, dem kühnen Franzosen, ist das Maiprogramm der Berliner Philharmoniker zugeeignet. Heiß ersehnt kommt Claudio Abbado zu seinem Orchester zurück, um das „Te Deum“ zu dirigieren. Ihm folgt Simon Rattle mit „La Mort de Cléopatre“ und der „Symphonie fantastique“. Neun Abende Berlioz-Fest.

Es wird von Donald Runnicles eröffnet, dem britischen Dirigenten, der den Philharmonikern seit 2003 verbunden ist. Nun kehrt er wieder als designierter Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin. Viel Hoffnung liegt auf ihm, denn an der Bismarckstraße drohte der Glanz, der einst aus dem Orchestergraben kam, zu verlöschen. Illustre Namen wie Fricsay, Maazel, Sinopoli, Thielemann wecken große Erinnerungen. Von Runnicles, den nicht nur das Orchester bei einem Wagner-Gastspiel schätzen gelernt hat, wird erwartet, dass er dort, wo zuletzt ein Chef ohne Fortüne agierte, den Grauschleier der verlorenen Jahre von der Musik wieder wegzieht.

Runnicles, 1954 in Edinburgh geboren, hat vielerorts Theatererfahrung gesammelt und ist seit 1992 Musikalischer Leiter der San Francisco Opera. Außerdem nebst vielem anderem Erster Gastdirigent in Atlanta. Dort existiert dieser märchenhafte Chor von rund 200 Sängerinnen und Sängern, mit dem der Maestro schon einmal bei Berlins Philharmonikern verblüfft hat. Der Chor ist ein Wunder, weil er aus seinen 200 Kehlen ein Pianissimo zaubert und quasi mit einem Ton flüstert und singt – ein Laienchor! Die „Grande Messe des Morts“, uraufgeführt im Pariser Invalidendom, füllt die Philharmonie mit Raumklang.

Vier Fernorchester, darin Trompeten, Posaunen und Tuben, eine lange Paukenriege hinter dem Hauptorchester rufen zum Jüngsten Gericht. Runnicles ist Herrscher über die Legionen der singenden und spielenden Musiker, eine gewisse Unbeirrtheit gehört dazu. Aber mehr noch ein Gefühl für diese Totenmesse gewaltigen Stils, für ihre Echtheit und Erschütterung im „Tuba mirum“. Es sind die Posaunen der apokalyptischen Reiter, die uns selbst im Konzertsaal schauerlich ergreifen. Wenn sich der Satz leise zurückzieht, gewinnt das Stück wie das „Quid sum miser“ mit seinem klagenden Englischhorn besondere Intimität. Es sind die Kontraste zwischen Höllenstürzen und Gebet der einsamen Seele, quasi in der Klosterzelle, die dieses Requiem unvergleichlich machen. Wie ein Lohengrin vom Himmel singt Joseph Kaiser im Sanctus. Runnicles verteidigt Einstimmigkeit als Ausdrucksmittel, trägt den Edelklang der tiefen Streicher auf Händen, hält die Konzentration über Pausen hinweg. Und betont, dass es keine interessantere Instrumentation gibt als die von Berlioz. Sybill Mahlke

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