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Kultur: Piscators Spiegelmensch

Sie haßte Politik und wollte Theater.Er haßte Illusion und wollte Politik im Theater.

Sie haßte Politik und wollte Theater.Er haßte Illusion und wollte Politik im Theater.Während sie über Europas und Amerikas Bühnen tanzte, revolutionierte er die Bühne mit politischen Revuen.Sein "Proletarisches Theater" besuchte sie in den frühen zwanziger Jahren in Berlin, verstand ihn nicht, wendete sich verachtend ab.Jahre später, nämlich 1937, heirateten die beiden Gegensätzlichen in Paris.Von da an heißt die Ballerina aus Wien Piscator, nennt ihren Ehemann "ein Genie" und unterstützt sein episches, experimentelles und politisches Theater.Wie Bertolt Brecht 1898 geboren, feiert Maria Ley Piscator - längst selbst zur Legende geworden - am 1.August ihren 100.Geburtstag.Die als Friederike Cazda geborene Künstlerin lebt heute ohne direkte Nachkommen in einem New Yorker Altersheim.

Ihr 95.Jubiläum mußte sie noch in einer Irrenanstalt verbringen.Dorthin wurde sie zwei Jahre zuvor unter skandalösen Umständen mit fadenscheiniger Begründung und ohne eine Bescheinigung ihres Hausarztes gebracht, entmündigt und weggesperrt.Ihr beträchtliches Vermögen wurde ihr kurzerhand entzogen.Beinahe erblindet und gewohnt, drei Stunden täglich für ein neues Buch zu diktieren, konnte sie sich fortan keine Schreibkraft mehr leisten.Hartnäckige Freunde erreichten schließlich die Freilassung der inzwischen geistig gebrochenen Frau - trauriges Schicksal der Grande Dame.Sie war Tänzerin, Dozentin, Regisseurin, Choreographin, Dramatikerin.Mit Max Reinhardt arbeitete sie an der berühmt gewordenen "Sommernachtstraum"-Inszenierung.Später führt sie bei über 50 eigenen Produktionen am Off-Broadway in New York Regie.Ihr Leben mit Erwin Piscator schilderte sie in ihrem Buch "Im Spiegel der Zeit".

Der Theaterrevolutionär Piscator ist Maria Leys dritter Mann nach zwei gescheiterten Ehen: erst mit einem k.u.k.Offizier, nach dem Ersten Weltkrieg mit dem AEG-Erben Frank Deutsch.Sie begleitet Piscator ins französische, später ins amerikanische Exil, gründet mit ihm den "Dramatic Workshop" an der New School for Social Research und unterrichtet dort unter anderem Marlon Brando und Tony Curtis.

Ihr genialischer Ehemann begeistert Theatermacher, in ihrer Beziehung allerdings ist er unerträglich.Sie fühlt sich unbeachtet, vernachlässigt, alleingelassen.Es folgt die Scheidung.Dennoch beschäftigt sie sich mit seinem geistigen Erbe, lehrt noch neunzigjährig als Professorin an der Universität Illinois und verwaltet nach Piscators Tod 1966 dessen Nachlaß in der Piscator Foundation von New York.

Als "Spiegelmenschen" bezeichnet sie sich.Spiegelmenschen, das sind nach ihrer Auffassung Menschen, für die die Wahrheit mehr ist als die Realität, nämlich so etwas wie "Kenntnis, Erkenntnis, Bekenntnis".Das, was Piscator auf der Bühne wollte.Maria Ley - ein Spiegel für Piscator.

CHRISTINA BERR

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