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Kultur: Plan von der Abschaffung der Steppe

Das Gastland der Buchmesse im Fokus: „Brasiliens Moderne“ im Berliner Museum für Fotografie.

Im kollektiven Bildgedächtnis verankerte sich die brasilianische Moderne vor allem mit der neuen Hauptstadt, die Ende der fünfziger Jahre im Landesinneren im wahrsten Sinne aus dem Boden gestampft wurde. Nach den Entwürfen des Stadtplaners Lúcio Costa und des Architekten Oscar Niemeyer entstand Brasília binnen wenigen Jahren. Das Wachstum der Planstadt mit den signifikanten Parlamentsgebäuden oder der Kathedrale ist von Anfang auch mit der Kamera begleitet worden. Fotografen wie Marcel Gautherot oder Thomaz Farkas trugen so maßgeblich zum Aufbruch bei, wie die Ausstellung „Brasiliens Moderne 1940– 1964“ im Berliner Museum für Fotografie zeigt.

Gautherot und Farkas reisten schon während der Bauarbeiten nach Brasília, um zu beobachten, wie die geometrischen Spannbetonschalen des Kongressgebäudes entstanden und die Stahlskelette der Hochhäuser aus dem Staub der Steppe wuchsen. Als Freund Niemeyers komponierte Gautherot ausgewogene Bauporträts, welche die ikonische Architektur dramatisch ins Bild setzen. Farkas fokussierte mehr auf Formen und Strukturen. Er blickt aber auch hinter die Kulissen und beobachtet die Arbeiter auf den Baustellen und die Holzbaracken der Tagelöhner.

Beide Fotografen sind Einwanderer in Brasilien. Der Franzose Gautherot konnte sein Auge schon in Europa auf die Moderne eichen. Als Humanist mit ethnografischem Interesse bereiste er aber auch die Stätten der Tradition. Seine Fotos von Pfahlbauten in Manaus oder Capoeira- Kämpfern am Strand von Salvador inszenieren und dokumentieren gleichermaßen. Farkas ist der Street Photography näher, wenngleich er die Menschen auf der Straße oder im Fußballstadion von São Paulo vor allem als strukturierende Elemente begreift. Seine Arbeit mit Licht und Schatten erinnert an experimentelle Fotografen wie Laszlo Moholy-Nagy oder Man Ray, deren avantgardistische Kriterien er aber bewusst auf die Dokumentarfotografie herunterbricht.

José Medeiros hatte es als Bildreporter des führenden Gesellschaftsmagazins „O Cruzeiro“ eher auf den Glamour abgesehen. Doch abseits seiner Auftragsreportagen über den Karneval in Rio oder die Partys der Oberschicht, senkt er den privaten Blick auch auf die Nebenschauplätze. Mit Schüssen aus der Hüfte fing er in sensiblen Aufnahmen den Alltag ein, auf der Galopprennbahn, in der Straßenbahn oder im Ballsaal. Auf zurückhaltende Weise neugierig näherte er sich den religiösen Candomblé-Ritualen in Bahia oder den Ureinwohnern in Brasiliens landesinneren Bundesstaaten Pará und Mato Grosso.

Die sehenswerte Ausstellung greift auf die Archive des Instituto Moreira Salles zurück, einer der führenden privaten Kulturstiftungen Brasiliens. Nach der Präsentation japanischer Nachkriegsfotografie im letzten Jahr setzt das Museum für Fotografie damit eine Reihe fort, die Entwicklung der Moderne in außereuropäischen Regionen zu verfolgen. In Brasilien endete sie mit dem Militärputsch 1964. Bis dahin prägte Präsident Juscelino Kubitschek sein Land mit der Devise „Fünfzig Jahre Fortschritt in fünf Jahren“.

Der politische Aufschwung dieser Jahre schlug sich aber nicht nur in der signifikanten Architektur Brasílias oder der Kunst des Neokonkretismus nieder, sondern auch in der erstarkenden Wirtschaftskraft der Industrie. Der vierte Fotograf der Ausstellung, der deutschstämmige Hans Gunter Flieg, fällt mit seinen Werbefotos von Werkzeugen, Druckmaschinen und Chemieanlagen deshalb auch nicht aus dem Rahmen der Ausstellung. Er setzte industrielle Strukturen und Materialien im Foto ähnlich elegant in Szene wie die Künstler Hélio Oiticica oder Lygia Clark ihre Skulpturen und Installationen.

bis 5. Januar 2014, Di-So 10-18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Jebensstraße 2, 10623 Berlin

Marcus Woeller

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