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Kultur: Platz! Bei Fuß! Eine Komödie

Berlin ist eine Hunde-Messe wert.Berlin liebt Hunde!

Berlin ist eine Hunde-Messe wert.Berlin liebt Hunde! Wieso eigentlich? Am Wochenende findet unterm Funkturm eine Messe statt.3273 Rassehunde.Und ihre Besitzer.VON MORITZ RINKEGrunewaldsee.Sonntag mit Sonnenschein und ungefähr dreihundert Hundehalter mit Hund.Sonst niemand.Nur Hundehalter mit Hund.Vielleicht auch vierhundert, die sich alle am schönsten Ufer befinden, am Übergang von den Waldwegen zum Strand.Etwa zweihundert Halter haben Leinen ohne Hund in den Händen, die andere Hälfte Leinen mit Hund.Es herrscht eine Lautstärke, wie man sie beim Spaziergang in Deutschland gar nicht anzutreffen glaubt.Der Lärm setzt sich zusammen aus einem chorischen "Aus! Platz! Sitz!" - gemischt mit: "Faß! Pfui! Bei Fuß!" - dem sehr beliebten: "Komm du mir nach Haus!" -Oder: "Laß das, wenn das jeder machen würde!" - sowie "Ich verwarne dich! Beim nächsten Mal ist Schluß!" Außerdem riecht es nicht gut. Zu der vierhundertfach über den See schallenden Kommunikationsebene Halter - Hund, kommt dann noch die Ebene Hund - Hund dazu und Halter - Halter sowie in seltenen Fällen auch Hund - Halter.Interessant dabei ist, daß zum Beispiel die Ebene Hund - Hund, die sich vorwiegend auf Zubellen und Knurren beschränkt, im Punkte Lautstärke und Aggressivität bei weitem von der Ebene Halter - Halter übertroffen wird.Das Aufeinandertreffen zweier Halter führte am vorletzten Sonntag zu folgender Szene am Grunewaldsee: Ein Halter mit kirschroten Kniestrümpfen erkennt, daß sich seine Leine mit seinem Pudel mit einer fremden Leine, an deren Ende ein großer, scheinbar trauriger Mischhund gebunden ist, erheblich verwickelt hat.Der Halter mit Pudel klagt daraufhin den mit einem weiten Mantel bekleideteten Halter mit Mischhund an, ihm von der Seite regelwidrig in die Spazierbahn gelaufen zu sein.Nachdem der Halter mit Mischhund erklärt, der Grunewald unterliege nicht der Straßenverkehrsordnung, beginnt der andere Halter am Knotenpunkt der Leinen herumzureißen sowie auf seinen Pudel einzureden, er möge keine Angst haben vor diesem kulturlosen Köter, worauf der Halter mit Mischhund den Pudel als Nicht-Hund bezichtigt und seine kleine Schwanzquaste als Ikone deutscher Provinzialität abkanzelt.Naja - am Ende will man sich gegenseitig anzeigen, andere Halter mischen sich ein und maßregeln andere Halter, wie ein richtiger Hund auszusehen und wie man überhaupt dieses Land zu führen habe ...Von früheren Spaziergängen im Ausland kenne ich das eigentlich anders: Die Hunde begegnen sich, knurren, schnuppern oder bellen, und die Halter reden friedlich über das Wetter. Konrad Lorenz, der große Verhaltensforscher, entwickelte die Theorie vom "Resonanzhund".Er sagte: Der Mensch schafft sich seinen Hund nach seinem Bilde.Das heißt: Wenn ein Mensch eine seelische Veranlagung hat, kirschrote Kniestrümpfe zu tragen, ist es sehr wahrscheinlich, daß er einen Hund haben wird, der sich nicht in Schmutzlachen wälzt oder der in den Wäldern herumwildert, sondern auf den Wegen zwischen Blumen- und Gemüsebeeten läuft.Im Naturhistorischen Museum in Klagenfurt ist zum Beispiel der ausgestopfte Regimentshund von Feldmarschall Radetzky zu sehen, ein typischer Resonanzhund mit Dienstmarke und Korporalsabzeichen am Halsband.Der Hund war bei den Gefechten beständig an der Spitze der Sturmkolonnen, wurde mehrmals verwundet, verarztet und reihte sich immer wieder ein in die Gefechtslinie des Feldmarschalls Radetzky, der bekannt war für seine Zähigkeit. Zurück zum Grunewaldsee: Nach der Lorenzschen Theorie vom Resonanzhund kann man die vierhundert Halter in Menschentypen kategorisieren, wenn man das Vokabularium aller Hunderassen beherrschte.Also: Ein Halter mit einem Drahthaar-Foxterrier ist ein ungeduldiger, lauter Mensch, der unter Ruhe- und Rastlosigkeit leidet und nie weiß, was er zuerst machen soll, wie eigentlich alle Terrier-Halter Neigungen haben, an verschiedenen Stellen gleichzeitig mit von der Partie zu sein.Halter mit afghanischen Windhunden, Neufundländern, Gordon-Settern, Dalmatinern, Labrador- oder Shetland-Hunden oder Promenaden-Mischungen aus diesen sind eher stilbewußte Menschen der gehobenen Mittelklasse, deren Reflexionsvermögen ihnen eine gewisse Noblesse verleiht, die in Arroganz umschlagen kann, wie ja am Beispiel des Halters im weiten Mantel zu sehen war, der den Pudel diskreditierte.Ferner: Halter der Boxer-Rasse sowie auch der Bulldogge gelten als seelisch unkompliziertere Menschen, die meist eine Beamtentätigkeit eingeschlagen haben, deren Ende nicht abzusehen ist, und die nicht zu verwechseln sind mit den Pudel- oder Dachshundhaltern, die meist im Rentenalter mit der Menschheit abgeschlossen haben und nun alles auf ihre Vierbeiner setzen.Der Philosoph Arthur Schopenhauer zum Beispiel, nicht bekannt für große Menschenliebe, besaß zwei Pudel.Die Pudel waren für Schopenhauer die letzten Utopisten.Er fütterte sie mit Spargel und malte sie in japanischer Tusche.Das nur nebenbei. Es gibt auch die Lorenzsche Theorie vom "Komplementärhund" als Gegenstück des Menschen, was jedoch heute, im Zeitalter hedonistischer Nabelschau, immer seltener anzutreffen ist.Friedrich Hebbel, der gewaltige Dramatiker ("Kriemhilds Rache"), besaß noch einen Dackel.Thomas Mann einen Hühnerhundmischling.Halten wir fest: Die Theorien gehen in jedem Falle davon aus, daß die Art jedes Hundes eine Folge ist der seelischen Verfassung des Halters. Zurück zum Grunewaldsee: An einem zweiten Sonntag, am dem die Sonne noch strahlender war - da fiel sofort auf, daß mindestens siebenhundert Halter am Grunewaldsee waren und daß mindestens dreihundert Fachgespräche ausschließlich darüber geführt wurden, wie ein richtiger Hund beschaffen zu sein habe.Die Beschreibungen lassen sich unter den Begriffen "Pflichtbewußtsein", "Disziplin", "Nützlichkeit" und "Verträglichkeit" zusammenfassen.Wenn man nun die Lorenzsche Theorie vom Resonanzhund auf diese Begriffe anwenden würde, dann müßten diese Halter ja alle sehr pflichtbewußte und nützliche wie verträgliche Menschen sein.Das stimmt aber gar nicht.Der Grunewald sieht am Nachmittag aus wie ein Saustall, weil die Halter mit mehr Dreck um sich werfen als alle Hunde zusammen.Kein Fisch wird den Grunewaldsee mehr aushalten können, wenn man einmal bedenkt, wie ungeniert die Halter ihren Hunden in den See zu scheißen befehlen, anstatt das in den Tiefen des Waldes geschehen zu lassen.Und dann dieses demonstrative Herumgebrülle des "Aus! Platz! Sitz!" auf der am Grunewaldsee leider am häufigsten anzutreffenden Ebene Halter - Terrier, die gar nicht berücksichtigt, daß es auch Leute gibt, die einfach nur durch den Wald spazierend nachdenken wollen. Kurzum: Dieser auf den Säulen der Rechtschaffenheit ausgestellte Zeigecharakter einerseits und der ganze Abfall und Krach andererseits: in dieser Diskrepanz also liegt eine weitere Theorie verborgen, die viel besser auf die Hunde-Halter am Grunewaldsee paßt als die Lorenzsche These des Resonanzhundes.Es ist die Theorie vom deutschen Projektionshund.Der deutsche Projektionshund ist ein Hund, in den sein Halter all das hineinprojiziert, was seine sogenannte Meinung ist, die er jedoch entweder nicht leben kann oder die er sich nicht zu leben traut, von der er sich aber insgeheim wünscht, daß sie endlich einmal gesagt werden müßte.Mein Gott, an was Hunde wohl alles glauben müssen? Der deutsche Projektionshund am Grunewaldsee wird auch noch auf andere Weise mißbraucht.Im Vordergrund steht die Einflußnahme des Halters auf seinen Projektionshund, könnte man denken.Wenn man aber einmal genauer hinschaut, dann wird deutlich, daß vieles, was der Halter seinem Hund durch den Grunewald nachbrüllt, nicht so sehr dem Hund gilt, sondern den anderen Haltern.Man könnte sagen: Nicht die Erziehung des Hundes ist das Ziel, sondern die Erziehung des anderen Halters.Das heißt zum Beispiel: Die Meinung von Rechtschaffenheit und Ordnung ("Laß das, wenn das jeder machen würde!" - oder: "Beim nächsten Mal ist Schluß!") wird durch den Projektionshund auf andere geworfen.So gesehen dient der Hund einer urdeutschen Lust an der Bevormundung anderer. Und so gehen sie dann also sonntags durch den Grunewald: in der einen Hand die Leine mit oder ohne Hund und in der anderen ihre Portion Gerechtigkeit, um derentwillen sie Frevel treiben an allem - und man spürt deutlich die Zufriedenheit auf den Gesichtern der Halter, wenn sie den Grunewald am Spätnachmittag verlassen.

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