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Politische Literatur: Grenzgänger - Israelis und Palästinenser

Mitten aus der Friedensindustrie: Alexandra Senfft versucht, zwischen Israelis und Palästinensern einen Dialog herzustellen.

Eine mit Kopftuch verhüllte Palästinenserin sitzt auf einem Kalkstein und blickt vom Hügel aus auf die Küste Tel Avivs hinunter. Ihr Gesicht sehen wir nicht, aber ihre Haltung verrät Sehnsucht und Trauer. Vielleicht wartet sie auf ihren israelischen Gesprächspartner, denn das Bild findet sich auf dem Cover des Buches von Alexandra Senfft. In einer Zeit, in der Israelis und Palästinenser kaum noch Kontakt miteinander haben – jüdische Israelis dürfen nicht in die Palästinensergebiete und nur wenige Palästinenser dürfen in Israel arbeiten –, zeigt dieses Buch, dass Dialoge dennoch möglich sind. Senfft zeigt, dass traumatische Erfahrungen auf beiden Seiten nicht automatisch Feindseligkeit und Hass erzeugen, sondern manchmal auch die Erkenntnis, dass man miteinander reden muss – aber auch den anderen und ihren Lebensgeschichten zuhören muss, so schwer das auch fallen mag.

Diese Art der Kommunikation zwischen Menschen aus verfeindeten Nationen hat Alexandra Senfft als Assistentin in mehreren Seminaren des inzwischen verstorbenen israelischen Psychologen Dan Bar-On gelernt. Dort machte sie auch Bekanntschaft mit einigen der Protagonisten des Buchs. Somit sind die meisten Begegnungen mit ihnen keine gewöhnlichen Interviews, sondern vor allem auf israelischer Seite Besuche bei Freunden, bei denen die Autorin manchmal auch übernachtet. Das hat für den Leser den Vorteil, dass die Interviewpartner einen Einblick in ihr Leben gewähren, einen Einblick, der durch die fantastischen Nahaufnahmen des renommierten Fotografen Judah Passow intensiviert wird.

Diese Nähe vermag Senfft mit den meisten Palästinensern nicht herzustellen. Khaled abu Awwad stellt hier eine Ausnahme dar. Er verlor auf Druck der Israelis seine Stelle als Lehrer und wurde Förster. Sein Bruder Ali wurde von einem Siedler angeschossen, sein Bruder Youssif eine Woche später von einem Soldaten erschossen, sein eigener Sohn angeschossen. Dennoch gründete er die palästinensische Gruppe des Vereins „Elternzirkel“, in dem sich Israelis und Palästinenser, die in diesem Konflikt ihre Nächsten verloren haben, zusammen für den Frieden einsetzen. Abu Awwads israelischer Partner, Rami Elhanan, der hier ebenfalls porträtiert wird, verlor seine Tochter Smadar durch ein Selbstmordattentat und gehört seitdem zu dieser Gruppe. Seine Frau Nurit sagt, dass sowohl der Täter als auch ihre Tochter Opfer der israelischen Besatzung seien – eine in Israel sehr ungewöhnliche Meinung.

Alexandra Senfft ist keine passive Erzählerin, sondern mischt sich in die Gespräche ein und ergreift Partei für den Dialog. Sie traut sich auch, eine Kritikerin der „Friedensindustrie“, die international gefördert wird, zu porträtieren. Die in Ramallah lebende israelische Journalistin Amira Hass betrachtet inzwischen ‚Dialog’ als „ein leeres Wort“ ebenso wie „Frieden“ oder „Versöhnung“. Für sie sei nur ein Dialog, was das Ziel habe, die Besatzung zu beenden. Ein palästinensisches Pendant hat Amira Hass nicht, aber dafür erzählt sie von ihrer Mutter, einer KZ-Überlebenden. Der Holocaust und die aktive Rolle, die Senffts Großvater spielte – als Hitlers Gesandter in der Slowakei später wegen Kriegsverbrechen hingerichtet –, ist immer präsent und scheint die Autorin dazu zu veranlassen, sich seit Jahren für die Freundschaft zwischen Israelis und Palästinensern zu engagieren: als Nahostreferentin der Grünen-Fraktion im Bundestag, als UN-Beobachterin in der Westbank und Pressesprecherin des UN-Hilfswerks für Flüchtlinge in Gaza.

Nicht alle Israelis und Palästinenser in diesem Buch können einen wirklichen Dialog miteinander führen. Der ehemalige israelische Offizier Hanan Ohana versucht eine solche Gruppe von Siedlern zu organisieren. Die Siedlung wird nicht genannt, um die Teilnehmer vor ihren eigenen Nachbarn zu schützen. Mit den benachbarten Palästinensern bleibt der Meinungsaustausch stecken, weil der Traum der einen, ein Palästinenserstaat, der Albtraum der anderen ist.

Die Autorin unterstützt offen eine Zwei-Staaten-Lösung: hier Israelis, dort Palästinenser. Aber in ihrem Buch bezeichnet sie arabische und beduinische Israelis als Palästinenser. Das verwirrt. Man fragt sich, wo die Grenze gezogen werden soll?

Alexandra Senfft kann aufmerksam zuhören, genau beobachten und interessante Menschen präzise und einfühlsam beschreiben. Sie versucht zwar Israelis und Palästinenser paarweise darzustellen, erkennt aber zugleich die große Asymmetrie zwischen denjenigen, die einen Staat haben, und denjenigen, die unter der Besatzung leben. Ihr Buch bietet einen ausführlichen Blick in das Leben einiger bemerkenswerter Israelis und Palästinenser, die alle Grenzgänger sind. Leider verlässt Senfft manchmal ihren klaren Weg, um Juden und Palästinenser in London zu befragen, über ein Armenviertel in der jüdischen Stadt Beer-Sheba zu berichten, den Nahostexperten Volker Perthes in Berlin zu zitieren oder das schwierige Verhältnis der Gattin eines ihrer Protagonisten zu ihrer Mutter darzustellen. Und leider haben ihre Protagonisten kaum Einfluss auf die beiden Gesellschaften. Die meisten Israelis bleiben einander fremd und betrachten sich als Feinde, obwohl so nah.

– Alexandra Senfft: Fremder Feind,

so nah. Begegnungen mit Palästinensern und Israelis. Edition Körber-Stiftung,

Hamburg 2009. 334 Seiten, 20 Euro.

Igal Avidan

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