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Kultur: Politische Unterkaste

Die Neuköllner Oper zeigt „Referentinnen. Geschichten aus der zweiten Reihe“

Diesmal also Politik. Um jene Wasserträger, Berater und Schöntuer geht es in der Uraufführung „Referentinnen“ an der Neuköllner Oper, die ihr Leben im Schatten der sogenannten Politgrößen verbringen, bis zur Selbstaufgabe beschäftigt mit Anträgen und Vorlagen zum Bienensterben, zu Computerverlusten in deutschen Behörden oder der Windenergienutzung. Ja, Referenten haben es nicht leicht, Referentinnen womöglich noch schwerer.

Frauen nämlich stehen im Zentrum des neuen Stücks von Matthias Rebstock, Tilmann Rammstedt und Knut Jensen (musikalische Einrichtung). Ein Männerteam also, das sich neun Damen auf die Bühne gestellt hat und dazu zwei unauffällige Instrumentalisten: das aus Musikerinnen und Schauspielerinnen bestehende Ensemble leitundlause, sonst auf Neue Musik spezialisiert, die Tubistin Janni Struzyk sowie Steffen Zimmer (Trompete) und Rob Gutowski (Posaune).

Sie alle erzählen keine Geschichte, sondern führen eher ein musiktheatralisches Pasticcio vor, aus dem reichen, armen Referentinnenleben, ein mit synchron gesetzten Aktionsinseln auf der Bühne und erfinderischer Geräuschkulisse (Aktenordnerklappern! Zettelzerreißen! Synthesizer, Frauenstimmen!) aufgeschmücktes Panorama von Impressionen aus der politischen Welt, in dem die Damen von leitundlause viel Gelegenheit finden, mit ihrem individuellen Können zu wuchern.

Die Sopranistin Astrid Kessler stellt sich tatsächlich hin, um mit ruhigem, glänzenden Ton Händel-Arien oder die große Nummer „Ihr habt nun Traurigkeit“ aus dem Brahms-Requiem zu singen. Nach einer Rücktrittsrede. Die Schauspielerin Bärbel Schwarz besticht durch Lässigkeit und den beherzten Griff zu Kontrabass und E-Gitarre. Ihre Kollegin Ursula Renneke beherrscht das Spiel von Glanz nach außen, Gewalt nach innen virtuos. Und Mariel Jana Supka erzählt mit hochneurotischem Charme mitleiderregende Dinge aus der Behördenwelt: „Wenn man als Letzter geht, ist man redlich erschöpft, als Vorletzter nur müde.“

So trifft sich die Referentinnen-Gesellschaft klagend, dominierend, diktierend und natürlich intrigierend bei den geschäftigen Vorbereitungen zu einer politischen Landpartie der Bundesregierung, vielleicht auch nur der eines Ministeriums. Ganz so deutlich wird das nicht; die Phrasendrescherei der den Abend regelmäßig taktenden „Pressekonferenzen“ kommt der Schwebeposition im politisch-geografischen Nirgendwo vollendet nach. Auf jeden Fall findet die Landpartie auf einer Anlage à la Schloss Neuhardenberg statt: Buchsbäumchen, Holzgeländer und weite Rasenflächen, eine barocke Kulisse inklusive aller zugehörigen guten Hausgeister.

Also hängen an den Wänden der Bühne von Sabine Hilscher Portraits im alten Stil, tragen einige Damen Perücken oder kunstvolle Frisuren, haben die Männer Schnallenschuhe an. Den Rest der Frauen aber hat Hilscher ins Graubraunschwarz der politischen Unterkaste gekleidet: Hose, Bluse, Pumps, Kostümchen. Es sieht nicht schlecht aus und ist doch vollkommen auswechselbar.

So bemüht der Sprung vom falschen Barock in die falsche Gegenwart aber, so gegensätzlich wie Bühne und Kostüme, so spröde, dann wieder poetisch die Projektionen von Sabine Beyerle und David Reuter an der Hinterwand, so wunderlich schließlich das Miteinander von strengem Gesangssatz und Perkussion auch gerät – so überschießend kreativ und intelligent andererseits gibt sich die gesamte Inszenierung. Fast dauert dieser Abend zu lang. Weniger Ideen hätten ihm gut getan; auch die Neuköllner Oper ist keine Spielkiste, in die man alles hineinstopfen kann, was einem zum Thema einfällt. In seinem spitzen, ungewöhnlichen, glücklicherweise nur selten hämischen Blick auf die „Geschichten aus der zweiten Reihe“ aber, so der Untertitel der Inszenierung, ist dieses Polit-Pasticcio unschlagbar.

Wieder am 31. August, 4.-7., 11-14., 18.-21. September.

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