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Lästerlicher Hedonismus. Die Allah-Las benannten sich nach einem Hotel, in dem schon F. Scott Fitzgerald zechte.

© Mexican Summer

Pop und Religion: Gott spielt E-Gitarre

Warum der Rock ’n’ Roll in den Fokus islamistischer Terroristen rückt.

Du sollst dir kein Bild von Gott machen, fordert eines der zehn Gebote des Christentums. Der Islam ist bei seinen Verboten noch rigider. „Du sollst auch Gottes Namen nicht nennen. Jedenfalls dann, wenn er selber damit nicht gemeint ist“, so könnte man die bis heute gängige Auslegung des Korans zusammenfassen. Deshalb dürfen Muslime ihre Söhne nicht Allah nennen, weil „schon der Name der Beschreibung dient und niemand gottgleich ist“. Allerdings können die Gläubigen dieses Tabu leicht umgehen, denn Allahs Größe und seine Eigenschaften zeigen sich in 99 weiteren Bezeichnungen, die von Al Malik („der Herrscher und König“) über Al Mumin („der Verleiher der Sicherheit“) bis Al Wali („der Schutzherr“) reichen. Malik, Mümin und Wali sind als Vornamen erlaubt.

Mangelnde Korankenntnisse wären einer kalifornischen Neo-Sixties-Band in der Nacht zum Donnerstag offenbar beinahe zum Verhängnis geworden. Dabei hatten sich die Allah-Las einst nur deshalb so genannt, weil sie „irgendwie heilig“ klingen wollten. Islamistische Terroristen finden so etwas bekanntlich gar nicht lustig, die strengstmögliche Einhaltung von Geboten möchten sie notfalls auch mit Bomben durchsetzten. Zum Glück konnte die Polizei einen Anschlag auf ein geplantes Konzert der Band in Rotterdam in letzter Minute verhindern.

Islamisten haben keinen Humor

Als Sänger Miles Michaud 2006 in einem Interview mit der britischen Zeitung „Guardian“, erzählte, dass die Gruppe E-Mails von Muslimen aus aller Welt bekommen habe, die sich beleidigt fühlten, tat er das noch mit einer Mischung aus Erstaunen und Entsetzen. „Wir beantworten jede E-Mail, erklären, warum wir uns für diesen Namen entschieden haben, und meistens zeigen die Leute Verständnis“, sagte er. Denn der Name verweist nicht bloß auf Allah, sondern genauso auf Los Angeles, die Heimatstadt der Musiker, und das legendäre Hotel Garden of Allah am Sunset Strip, in dem sich in den dreißiger und vierziger Jahren schon F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway betranken.

Außerdem ist er als Hommage auf die Girlgroup The Shangri-Las und die schottische Krachkapelle The Jesus And Mary Chain zu verstehen. Eine schwindelerregende Referenz-Spirale, passend zum rumpelnden Retroblues der Band, der sich neben dem Psychedelik-Beat der amerikanischen Westküste auch beim deutschen Krautrock bedient. Allerdings ist bei Anhängern des sogenannten Islamischen Staates die Lust, sich mit komplexeren Bezugssystemen westlicher Popmusik auseinanderzusetzen, eher gering ausgeprägt. In ihrem Schwarz- Weiß-Denken gilt jeder, der den Namen Gottes missbraucht, als todeswürdiger Häretiker.

Nach dem Massaker im Pariser Bataclan-Theater vom November 2015, bei dem 90 Menschen starben, und dem Selbstmordattentat mit 22 Todesopfern bei einem Konzerts der amerikanischen Sängerin Ariana Grande in Manchester im Mai wäre Rotterdam der dritte Anschlag auf die abendländische Rock-’n’-Roll-Kultur gewesen. In Paris war es wohl Zufall, dass im Bataclan gerade die Eagles of Death Metal spielten. Den Termin hatte ein gleichzeitig attackiertes Fußball-Länderspiel vorgegeben. Im Fokus der Terroristen stand statt einer Band der Hedonismus der urbanen Ausgehkultur. Ariana Grande war den Eiferern ein Dorn im Auge, weil sie stets knapp bekleidet auftritt und damit zum role model vieler junger weiblicher Fans aufstieg.

Blasphemie gehört zum Pop

Paris und Manchester waren, grob gesagt, Anschläge auf die Art, wie wir leben. Rotterdam sollte ein Angriff sein auf die Art, wie wir denken. Denn es ist ein Verdienst der Reformation vor fünfhundert, der Aufklärung vor dreihundert und der Säkularisierung vor zweihundert Jahren, dass Gott buchstäblich vom Himmel heruntergeholt worden ist. Seinen Nimbus als höheres Wesen hat er weitgehend eingebüßt, er darf kritisiert und auch verspottet werden. Im laizistischen Frankreich ist Gotteslästerung längst kein Straftatbestand mehr, in Deutschland wird sie allenfalls geahndet, wenn sie „den öffentlichen Frieden stört“, sich also gegen ganze Bevölkerungsgruppen richtet

Zum Pop gehört die Blasphemie von Anfang an dazu, nicht nur, weil sich Bands gerne God of Atheists, Antichrist oder – Gipfel des Frevels! – God nennen. Schließlich begann die Revolution einst damit, dass ein blinder Sänger den Gospel, die Musik Gottes, mit dem Blues, der Musik des Teufels kreuzte. Ray Charles intonierte 1954 den langgezogenen Schlachtruf „W-e-l-l“ und barmte dann heiser: „I got a woman, way over town / She’s good to me, oh yeah / She saves her lovin’, early in the mornin’ / Just for me, oh yeah.“ Für seinen ersten Hit hatte der Soul-Pionier auf das Spiritual „My Jesus Is All The World To Me“ zurückgegriffen, nur dass es nicht mehr um Gott, sondern um Sex ging. Ein Skandalon. Radiostationen boykottierten den Song, Gläubige beschimpften Charles als Ketzer.

Ketzerisch ist der Rock ’n’ Roll schon deshalb, weil es sich bei ihm um eine polytheistische Religion handelt. Seit Jimi Hendrix bietet sein Himmel Platz für viele Gitarrengötter, und das Graffito „Clapton Is God“, das eine Zeit lang auf Londoner Fassaden prangte, verfolgt den Bluesvirtuosen bis heute. Seither muss er die Erwartungen seiner Gemeinde erfüllen, und es ist nicht immer leicht, ein Gott zu sein, vor allem nicht als Mensch. Das Recht, den Allmächtigen herauszufordern und keine Rücksicht auf die Gläubigen nehmen zu müssen, haben sich die Popstars allerdings hart erkämpft.

Populärer als Jesus

Berühmt geworden ist die Fehde der Beatles mit christlichen Fundamentalisten. Als John Lennon 1966 in einem Interview anmerkte: „Das Christentum wird vergehen. Wir sind gerade populärer als Jesus und ich weiß nicht, was zuerst sterben wird – Rock ’n’ Roll oder das Christentum“, kam es im Bible Belt des Mittleren Westens zu dramatischen Protesten. Radiosender organisierten öffentliche Verbrennungen von Beatles-Platten, die Band erhielt Morddrohungen. Es half wenig, dass Lennon in einer eilig anberaumten Entschuldigungs-Pressekonferenz sagte: „Ich bin nicht gegen Gott, gegen Christus oder gegen Religion“ und versicherte, Jesus sei „in Ordnung“.

Der Ku-Klux-Klan nagelte Alben der Beatles an Holzkreuze und schwor Rache, selbst der Vatikan verdammte die Einstellung des Sängers in einer öffentlichen Verlautbarung. Lennon, der durch die Lektüre von Büchern des Theologen Hugh J. Schonfield zum Atheisten geworden war, sollte sich bald darauf der „Transzendentalen Meditation“ des indischen Gurus Maharishi Mahesh Yogi anschließen. In seiner Hymne „Imagine“, veröffentlicht ein Jahr nach der Auflösung der Beatles, besingt er die Gottlosigkeit als paradiesischen Zustand: „Imagine there’s no heaven / It’s easy if you try / No hell below us / Above us only sky.“

Nicht nur der Kommunismus, sondern auch der Pop glaubt fest daran, dass schon die Erde zum Himmel gemacht werden muss. Nicht erst nach dem Tod, sondern im Hier und Jetzt. Solidaritätsgesänge wie „We Shall Overcome“ sind seine Kirchenchoräle. Also kann es nur eine Antwort auf John Lennons Frage geben, was wohl länger bestehen wird, der Rock ’n’ Roll oder der Glauben: Beide sind unsterblich.

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