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DER feine UNTERSCHIED: Kastrat oder Counter

Countertenöre haben das Erbe der Kastraten angetreten. Sie sind sexy, männlich und können auch noch singen. Christiane Tewinkel über die Männer in den höchsten Tönen.

Von Zeit zu Zeit ist es schön, sich die Männer entmannt vorzustellen, die Hosen runter, ab damit und fertig aus. Obwohl es seinerzeit, im 17. und 18. Jahrhundert, als das Kastratentum in Italien seine Blütezeit erlebte, durchaus verschiedene Möglichkeiten gab, die Knaben zu kastrieren. Bis zum äußersten ging es nie. Meist schnitt man den Jungen bloß die Samenleiter durch. An der Zeugungsfähigkeit der Heranwachsenden änderte das alles, an ihrer Liebesfähigkeit womöglich nur wenig, doch ihre wunderschöne, in jahrelanger Ausbildung herangezogene Stimme ließ es genauso bleiben, wie sie war: „Es liegt,“ schrieb der Franzose Charles de Brosses um 1740, „etwas Sprödes und Herbes in ihrem Gesang, das von der weichen Lieblichkeit der Frauenstimme weit entfernt ist, aber ihre Stimme hat Glanz und Leichtigkeit, dabei Kraft und Umfang.“

Alessandro Moreschi, einem der letzten Kastraten der päpstlichen Kapelle, hört man diese Brillanz kaum mehr an. Die Aufnahme von 1904 lässt eine sonderbare Stimme hören, einen alten Mann, der mit seinem querflötenhohen Sopran schluchzen und fein stecht, Lichtjahre entfernt von jenem Zeitalter des Virtuosengesangs, das den Ruhm der Kastraten begründete und in dem zu betören alles galt: Koloraturen, schwellende, schmelzende Töne, Triller und blendende Höhen. Wer heute als Mann hoch singt, heißt dagegen Prince, ist als Transvestit unterwegs oder spielt in einer Barockoper mit. Lässt die Stimmbänder nur am Rande schwingen und täuscht sich und der Welt ein falsches Timbre vor.

Bei manchen, wie dem englischen Countertenor David Cordier oder dem Franzosen Philippe Jaroussky, klingt das noch immer – oder schon wieder? – wie ein Knabe. Andere schillern mezzosopranös: Axel Köhler oder der Amerikaner Brian Asawa. Der Brite Michael Chance singt wie in Porzellan, Andreas Scholl hört man das Falsettieren sofort an, Jochen Kowalskis Stimmbänder haben darunter so gelitten, dass er nur selten noch zu voller Kraft auffährt. Gleichwohl war er es, der den hohen Männergesang in den deutschsprachigen Raum brachte. Jahrzehntelang begann das Publikum noch zu kichern, sobald Altisten und Soprane den Mund aufmachten. Heute lacht niemand mehr. Die Countertenöre haben das Erbe der Kastraten angetreten. Sexy sind sie, männlich, und singen können sie natürlich auch.

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