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Konzertkritik: "Edeka Wittenberg grüßt Peter Maffay"

40 Jahre Peter Maffay: Mit jungenhaftem Charme im Berliner Tempodrom.

Kein Weg ist den Fans für Peter Maffay zu weit. Stolz entrollen sie ihre Transparente, hängen sie an die Brüstungen auf den Rängen des Tempodroms: "Edeka Wittenberg grüßt Peter Maffay". Ja, richtig gelesen: "Edeka", nicht "Erika". Oder: "Duderstedt sagt Danke und gratuliert Peter Maffay". Wofür bedankt sich Duderstedt? Wozu gratuliert es? Vielleicht nachträglich zum 60. Geburtstag, oder vielleicht doch eher zum Bühnenjubiläum.

"40 Jahre Peter Maffay", sollen heute gefeiert werden mit der Präsentation des neuen Maffay-Albums "Tattoos", das am Freitag erscheint. Es ist eine Art kleines, intimeres Vorabkonzert als Appetitanreger für die eigentliche ausgedehnte Tour durch größere Arenen, die am 2. November in Hamburg beginnt.

Tosender Jubel, als kurz nach acht ein großes Orchester eine mächtige Ouvertüre anstimmt, die klingt wie eine Mixtur aus "Also sprach Zarathustra" und dem Thema zu einem neuen James-Bond-Film. Ist dieses "Philharmonic Volkswagen Orchestra" eine Werkskapelle von VW-Arbeitern? Oder eher günstig eingekaufte Musiker aus einem Ostblockland, die während der Konzerte im VW-Transporter kutschiert werden? Egal, sie spielen ordentlich.

Doch schon wird man aus derartigen Überlegungen gerissen, denn der Jubel wird noch tosender. Da kommt die Band. Die Fans springen aus der Bestuhlung des Innenraums: "Peter, Peter, Peter!" Aber zunächst geht erstmal Nena ans Mikro und sagt: "Es ist mir eine ganz große Ehre, einen guten alten Freund anzusagen: Peter Maffaiiiihh!" Ein Orkan tobt durch den Saal.

Der Peter sieht ziemlich cool aus, in seiner grauen Weste überm ärmellosen Unterhemd und in lässigen Jeans. Mit seinen strubbeligen Locken und gegerbten Gesichtszügen, sowie den tätowierten, muskulösen Oberarmen erinnert er an eine Mischung aus Pierre Brice, Rod Stewart und Easy Rider. Er knallt schwere Akkorde in seine schwarze Gretsch-Gitarre. "Schatten in die Haut tätowiert, Spuren, die für immer bleiben, das ist für ihn Rock 'n' Roll" singt er.

Rock 'n' Roll? Oder doch eher deutscher Schlager, rockig aufgemotzt? Die ewige Frage, die an Peter Maffay zu kleben scheint, seit er als Dieter-Thomas-Heck-Hitparaden-und-Bravo-Schlagerboy 1970 mit "Du" seinen ersten großen Hit hatte, und etwa zehn Jahre später verzweifelt versuchte, sich vom Image des lieblichen Schlagersängers zu befreien und zum kernigen Rocker zu werden.

Als er sich 1982 übermütig in das waghalsige Unternehmen stürzte, im Vorprogramm einer Stadiontournee der Rolling Stones aufzutreten, machte sich Peter Wolf, Sänger der J. Geils Band, die ebenfalls im Vorprogramm spielten, den etwas gemeinen Spaß, Maffay anzusagen mit den Worten: "Wollt ihr Schlager? Oder Rock 'n' Roll?" Zehntausende Rolling-Stones-Fans entscheiden sich damals einstimmig für Rock 'n' Roll, pfiffen den "Schlagerfuzzi Maffay" wütend aus und bewarfen ihn mit Obst und Gemüse. Für Stones-Fans war Maffay indiskutabel.

Aber was macht Maffay heute? Was ist das? Schlager oder Rock 'n' Roll? Und wenn er dann auch noch seine ganzen alten Hits, auch die uralten Schlager, auf seinem neuen Album "Tattoos" in rockigeren Arrangements noch einmal aufwärmt: Schlager oder Rock 'n' Roll? Die vorzügliche Band rockt, was das Zeug hält, mit einem kompakten Sound, der brillant abgemischt ist, wie man es im Tempodrom nur selten hört. Inmitten seiner exzellenten Mitstreiter wirkt Maffay heute tatsächlich wie ein echter Rock 'n' Roller. Er singt auch besser als damals im Vorprogramm der Stones, nicht mehr so knödelig, und mit mehr glaubwürdigem Ausdruck. Dass man manchmal sogar an Bruce Springsteen denken könnte. Und wie Springsteen, nimmt man heute auch Maffay fast alles ab: was er sagt zwischendrin, seine angenehm zurückhaltenden Ansprachen an die Fans, frei von jeglichem Gehabe und falschen Posen. Man glaubt ihm die Aufrichtigkeit seines Engagements für traumatisierte Kinder und für die Friedensbewegung. Wenn es allerdings auch schwer irritiert, dass man auf Maffays Website gerade noch ein Werbe-Video der Bundeswehr sehen konnte.

Nett ist Maffays jungenhafter Charme, seine kleinen Witzchen. Und weht da sogar mal ein Hauch von Selbstironie? "Sonne in der Nacht", "Und es war Sommer", "Über sieben Brücken musst du gehen", "Eiszeit", "Freiheit, die ich meine". Mit den neuen Live-Versionen könnte Maffay selbst die ärgsten Spötter von einst für sich einnehmen, vielleicht sogar Stones-Fans. Nur eines sollte man besser nicht tun: zu sehr auf die Texte achten. Denn die sind doch mehr Schlager als Rock 'n' Roll, geschweige denn wahre Singer-Songwriter-Kunst. Was nicht verwundert, wurden doch etliche davon von berüchtigten alten Schlageristen gedichtet. Von Peter Orloff, Joachim Haider und dem Eurovisions-Contest-Schreiber Bernd Meinunger, der dem armen Peter Zeilen gezimmert hat wie: "Ich fühl genau und ganz tief in mir, ich hab dich gesucht, ich gehör dir und du zu mir." Helden der Lyrik. Doch der Peter singt sowas offenbar nicht ungern, und seine rührend hingebungsvollen Fans scheinen solche Texte besonders zu lieben.

Aber sonst eigentlich alles prima. Auch der spektakuläre Sprung von der Bühne am Schluss nach zwei Stunden, und der elegant gejoggte Abgang durch die wonnetrunkenen Publikumsreihen. H.P. Daniels

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