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© promo

Interview: "Sie fragen wie mein Psychologe"

Wenn Adam Green an seine Texte denkt, kann er manchmal nachts nicht schlafen. Zum Glück sind die Deutschen weniger prüde - das weiß er aus der "Bravo".

Mister Green, bitte vervollständigen Sie den Satz: Kein anderer Musiker schafft es, bei Interviews …



… so viel zu essen?

Ja, und auch zu rülpsen. Warum machen Sie das?

Ich merke gar nicht, wenn es passiert. Wenn ich mich auf die Fragen und Antworten konzentriere, habe ich meinen Körper nicht unter Kontrolle. Das geht mir auf der Bühne ähnlich: Wenn ich singe, weiß ich auch nicht, wer rechts und links von mir die Instrumente spielt. Bei anderen Menschen sind Körper und Geist weniger voneinander getrennt. Bei mir haben sie rein gar nichts miteinander zu tun. Mein Körper ist ein Roboter.

Sie sind ebenso dafür bekannt, in Interviews notorisch zu schwindeln.

Ihr müsst mir verzeihen. Manchmal muss ich so viele Interviews an einem Tag geben, dass mir langweilig wird. Dann rede ich einfach drauflos. Aber kommt schon, so viel lüge ich wirklich nicht.

Einmal haben Sie gesagt, Ihre erste Freundin sei so strenggläubig gewesen, dass sie ständig eine Bibel bei sich trug. Und sie sei an Leukämie gestorben.

Okay, ich gebe es zu, das war eine schlimme Lüge. Die Frau lebt, es geht ihr blendend. Sie ist heute mit meinem besten Freund verheiratet.

Ein anderes Mal haben Sie erzählt, Sie hätten sich eine Nacht lang im Museum of National History in New York einschließen lassen.

Wir wollten es wirklich tun, mein Neffe und ich. Haben wir dann aber doch nicht gemacht.

Auf einer Tour durch Europa hat Sie angeblich Ihr Busfahrer nachts an einer Raststätte vergessen, so dass Sie per Anhalter weiterreisen mussten. Im Schlafanzug!

Die Geschichte stimmt tatsächlich. Das war im Sommer 2006, wir hatten auf dem „Dour Festival“ in Belgien gespielt und mussten weiter nach Frankreich, am nächsten Abend waren wir schon in Lyon gebucht. Dummerweise habe ich ein paar Ambien-Tabletten zu viel genommen …

… ein Schlafmittel, das in den USA und in Deutschland verschreibungspflichtig ist.

Ich hatte so etwas wie einen Blackout und bin im Pyjama in einem Waldstück aufgewacht, nahe der Tankstelle. Ich muss mich wohl aus dem Bus geschlichen haben, als der Fahrer gerade das Benzin bezahlen wollte.

Das sollen wir Ihnen glauben?

Es gibt Zeugen. Außerdem bin ich nicht der Einzige, der schlechte Erfahrungen mit Ambien gemacht hat. Nur sind die Erfahrungen meist weniger extrem, weil die Leute die Tabletten bei sich zu Hause nehmen und eben nicht in einem Tourbus. Ziemlich viele Amerikaner nehmen Ambien. Stellen Sie sich vor: Zu einer bestimmten Zeit, mitten in der Nacht, gibt es in den Staaten eine große Gruppe Menschen mit kollektivem Blackout.

Sagen Sie mal, ist Adam Green eigentlich Ihr richtiger Name?

Auf jeden Fall. Das kann ich beweisen. Hier ist mein Pass, seht Ihr – da steht Adam Michael Green.

Den Pass brauchen Sie oft: Sie kommen regelmäßig hierher, wo man Sie als Popstar feiert. Sie treten bei Harald Schmidt und Stefan Raab auf, im Februar werden Sie den Postbahnhof füllen. In den USA hat es keines Ihrer Alben in die Hitparaden geschafft.


Keine Ahnung, wie ich hier so prominent werden konnte. Der Hype um mich ist seit Jahren riesig, das Ganze kommt mir wie eine Verschwörung vor. Ich fühle mich nicht schlecht dabei, ich schreibe gute Songs und gebe gute Konzerte und so. Die meisten Künstler, die Mittelpunkt eines solchen Hypes sind, haben ja kein Talent.

An wen denken Sie?

Schalten Sie nur mal den Fernseher an. Was da läuft, ist schlimm, in Deutschland übrigens besonders schlimm! Leider fallen mir keine Namen ein. Ansonsten: Lady Gaga. Sie ist das Schlimmste, was ich je in meinem Leben gehört habe. Oder Kanye West, den hasse ich. Ich kenne niemanden, der so zufrieden und selbstsicher ist und gleichzeitig so wenig Talent hat.

Anti-Folk, das ist Ihre musikalische Stilrichtung. Sie zitieren das Singer/Songwritertum der Sixties, mehr widerwillig, daher das „Anti“. Wogegen sind Sie denn noch?


Dagegen, dass ich im Flugzeug meinen iPod ausschalten und meine Kopfhörer abnehmen soll, wenn die Maschine abhebt. Dagegen protestiere ich energisch. Ich nehme sie zwar kurz ab, aber setze sie wieder auf, sobald die Stewardess an mir vorbeigezogen ist.

Sonst noch etwas?

Letterman. Ich bin gegen David Letterman. Er ist ein Mistkerl.

Weil er Affären mit weiblichen Angestellten seiner Show hatte?


Nein, das ist wahrscheinlich das Beste an ihm. Aber David Letterman und Jay Leno und die anderen laden mich nie in ihre Shows ein.

Gott, sind Sie aber beleidigt! Ganz der unverstandene Künstler …


Na ja, ich darf dort halt nicht spielen, und ich laufe deswegen in den Staaten auch nicht im Radio.

Liegt es daran, dass Amerikaner prüde sind? Ihre Texte sind voller Sex – mit Minderjährigen, mit beinlosen Mädchen, mit pummeligen Prostituierten. Laut Rolling Stone ist Ihre Musik „Porn Folk“.


Ja, das kann sein.

Und sind die Deutschen dann weniger prüde oder verstehen sie bloß Ihre Texte nicht?

Die Deutschen sprechen sehr gutes Englisch. Sie sind tatsächlich nicht so prüde wie die Amerikaner. Ich muss es wissen, ich habe die „Bravo“ durchgeblättert.

Woran denken Sie sonst, wenn Sie an Deutschland denken?


Jägermeister. Und Kölsch, das ist fantastisch. Die Gläser sind zwar winzig, aber dafür wird dir ununterbrochen nachgeschenkt, sobald du ausgetrunken hast.

Ach, und wir glaubten schon, Sie denken an Ihre deutsche Urgroßmutter Felice Bauer …

… die verlobt war mit Franz Kafka. Sie war Jüdin, lebte in Berlin und emigrierte in den 30er Jahren in die USA. Das Buch mit den Briefen, die Kafka an sie schrieb, habe ich gelesen. Die beiden haben ihre Beziehung offenbar, nun, intensiv ausgelebt, das hat mir ein Experte verraten.

Sie stammen aus einer angesehenen Arztfamilie. Schämen sich Ihre Eltern eigentlich für Ihre Texte?


Jetzt nicht mehr, sie haben mühsam gelernt, mich so anzunehmen, wie ich bin. Zuerst dachten sie, ich würde Witze machen. Dann dachten sie, ich sei ein schlechter Mensch. Aber irgendwann hat sich das Blatt zum Guten gewendet: Wow, wir sind die Eltern von Adam Green! Das ist etwas Besonderes. Heute steht ein Bild von mir auf dem Schreibtisch meines Vaters.

Ihre Eltern haben nie versucht, Ihre Texte zu beeinflussen?


Ich bin kein kleines Kind mehr, dem sie drohen könnten. Überhaupt macht es keinen Spaß, mich zu bestrafen. Es ist lustiger, Menschen zu bestrafen, die sich nicht wehren! Das ist wie in dem Film „Mr. Brooks“, wenn Dane Cook Kevin Costner fragt: „Woher weißt du, wen du als Nächstes umbringst?“ Und Costner antwortet: „Halt einfach nach jemandem Ausschau, der aussieht, als würde es Spaß machen, ihn zu töten.“ Ich weiß noch, wie eine Lehrerin mich nachsitzen lassen wollte. Sie hat es bereut. Ich habe sie eine Hexe genannt.

Da wird sie sich sicher gefürchtet haben. Was ist mit Ihrem Frauenbild los? Auf Ihrem neuen Album beschimpfen Sie die Frauen, dass es nur so kracht.

Ach Quatsch, Frauen sind großartig. Ich will doch nur unterhalten. Schaut mal, in New York sind wir gerade speziell drauf. Wir sind keine Machos. Das Konzept von Männlichkeit und männlicher Identität betrachten wir als einen Witz. Ja genau: Wir lachen über Machos. Das Lustige ist, dass ich in Deutschland ständig auf solche Sachen angesprochen werde. Aber von Typen, die gar keine Machos sind. Ein paar Nerds, die mir erzählen wollen, dass ich nicht Manns genug bin, pah!

Hollywood, wo Sie sich vor kurzem länger aufhielten, um im Studio eines Freundes Musik aufzunehmen, ist dagegen ein Ort, wo Rollenbilder noch in Beton gegossen sind.


Dieser Ort bringt dich dazu, mehr Zigaretten zu rauchen als sonst, deine Fantasien auszuleben, als sei dein eigenes Leben ein Film. Im Kino werden Liebesbeziehungen, ihr Scheitern und Gelingen, immer übertrieben und glorifiziert. Meine Texte sind irgendwie auch eine Reaktion darauf – vielleicht sind sie eine härtere, realistischere Version von Hollywood?

Was stimmt nicht mit Ihnen?

Sie fragen wie mein Psychologe. Ich habe gerade mit einer Therapie begonnen, daher kann ich noch gar nicht wissen, was mit mir nicht stimmt.

Haben Sie sich aus freien Stücken zu einer Therapie entschlossen?

Ehrlich gesagt haben mich meine Freunde dazu überredet. Ich bin auch überhaupt nicht sicher, ob ich nochmal hingehe. Das führt doch zu gar nichts.

Warum sind Sie sich da so sicher?

Der Psychologe wollte ständig wissen, wie oft ich masturbiert habe, als ich neun war. Meistens ging es um Selbstbefriedigung.

Der Mann muss Ihr Buch „Magazine“ gelesen haben. Von Ihnen stammt die Zeile „Masturbation – my own civil war“.

Es gab Zeiten, da glaubte ich: Mit jedem Mal Masturbieren verliere ich ein paar Songideen. Aber inzwischen ist es okay.

Ihren größten Hit in den USA hatten Sie als Teil der Band Moldy Peaches mit dem Lied „Anyone Else But You“, das auch im Film „Juno“ zu hören war. Die Band gibt es seit fünf Jahren nicht mehr. Stimmen die Gerüchte, es könnte eine Reunion geben?


Niemals. Ich hasse es, wenn sich Bands wieder zusammenfinden. Das ist großer Mist. Zum Beispiel, als Velvet Underground in den frühen Neunzigern plötzlich wieder auf der Bühne standen. Das was furchtbar. Ich will mir heute auch kein Pixies-Konzert mehr angucken müssen.

Wie fänden Sie es, wenn sich Pete Doherty und Carl Barat wieder zu den Libertines zusammenfänden?

Ja, das wäre gut. Ich will eine Libertines-Reunion! Ich wünsche mir, dass sie gemeinsam in meinem nächsten Video auftreten.

Ihr neues Album „Minor Love“ ist das sechste in acht Jahren. Dazu haben sie einen Gedichtband herausgegeben, Gemälde ausgestellt – und zwischendurch angeblich für ein paar Wochen in einer Starbucks-Filiale gearbeitet. Warum das denn?

Ich hatte eine emotionale Krise, wusste nicht recht, wie es weitergehen soll. Ob ich vielleicht nach Deutschland oder Italien ziehen soll. Oder nach Argentinien, die haben dort verdammt gute Steaks und guten Wein. Aber dann habe ich mich entschieden, einfach nochmal einen normalen Job anzunehmen, so wie damals als 17-Jähriger.

Wie viel haben Sie verdient?


80 Dollar am Tag, und auf den Kaffee habe ich Rabatt bekommen. Ich ahnte schon, dass sie mich bald wieder feuern würden. Das haben sie nach drei Wochen auch getan.

Lassen Sie uns raten, weshalb: Sie haben nicht genug Motivation gezeigt?

Ich war einfach nicht schnell genug. Und sie haben recht. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, dass ich mit meiner Musik Geld verdiene. Ich wüsste nicht, was ich sonst tun sollte.

Standen Sie an der Kasse?

Nein, an der Kaffeemaschine. Ich erinnere mich noch genau an den Klang: Niiiiieeeepsch. Niiiieeeepsch. Ich musste aufpassen, dass ich mir das Zeugs nicht dauernd über die Hände schüttete. Wollen Sie ein Geheimnis erfahren? Wie man bei Starbucks richtig sparen kann, zumindest in Amerika?

Unbedingt!


Sie müssen einen kleinen Cappuccino bestellen. Bei Starbucks ist ja das Problem, dass die Portionen meist gigantisch sind. Die kleinste Größe heißt schon „tall“, also „groß“. Aber es gibt Tassen, die sind auch nach europäischen Vorstellungen klein. Also noch kleiner als „tall“ – wirklich klein. Wenn Sie also einen Cappuccino bestellen, dann können Sie auch diese ganz kleine Tasse verlangen. Für die benutzen die dort aber die gleiche Menge Espresso. Also bekommt man einen stärkeren und besseren Cappuccino und zahlt dafür sogar weniger. Das habe ich den Kunden erzählt. Mein Chef fand es nicht so toll.

Hat Ihr Vorgesetzter denn nicht gewusst, wer Sie sind?


Nein, wie gesagt: Ich bin in den Staaten nicht so bekannt wie hier.

Wo trinken Sie denn Ihren Kaffee?

In New York gibt es eine Espresso-Bar im East Village, das ist in der 7th Street zwischen 1th und 2th: das Abraco. Die haben da mit Fingerfarben Bäume und Vögel an die Wand gemalt. Das mag ich. Oder in Los Angeles, das Intelligentsia auf dem Sunset Boulevard. Ich mag keinen Starbucks-Kaffee.

Flossen Ihre Erfahrungen als Barista denn in einen Song?

Schwer zu sagen. Meistens arbeite ich an vier oder fünf Liedern gleichzeitig. Manchmal schreibe ich nur hier oder da eine Zeile.

Die „New York Daily News“ schreibt, Ihre Texte seien „surreal“, was auch ein nettes Wort wäre für unzusammenhängend.


Meine Texte sind nicht zufällig, selbst wenn sie sich lesen wie ein Bewusstseinsstrom. Im Grunde möchte ich vor allem unterhalten. Für mich ist das völlig natürlich und überhaupt nicht verrückt. Wenn ich allerdings auch nur für eine Sekunde darüber nachdenke, wie meine Texte auf andere wirken können, dann krieg ich die Krise. Deswegen habe ich manchmal auch echt Probleme zu schlafen.

Mister Green, uns würde interessieren, was in diesem Interview Ihre schlimmste Lüge war.

Habe ich denn gelogen? Ich glaube nicht. Und wenn, dann war es bloß eine bessere Version der Wahrheit.

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