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Jugendorchester: Die Macht des Taktstocks

60 Jahre RIAS-Jugendorchester: Berlins Nachwuchsstars feiern mit Israel und proben mit Managern.

Sinfonieorchester sind wie Schulklassen. Ob „der da vorne“ eine Chance bekommt, entscheidet sich in den ersten Minuten. Kann der Dirigent die Richtung vorgeben, versteht er es, das Kollektiv so zu lenken, dass sich die Einzelnen in ihrer Individualität nicht eingeengt fühlen?

„Dirigieren ist die denkbar direkteste Art der Menschenführung“, findet Gernot Schulz, ein Schlagzeuger, der 2004 seinen Job bei den Berliner Philharmonikern aufgab, um selbst Maestro zu werden. Nun leitet Schulz die „Führungskräfte-Seminare“ des RIAS-Jugendorchesters. Nach dem Vorbild der Kammerphilharmonie Bremen bietet das Berliner Nachwuchsensemble außergewöhnliche Workshops für Konzerne an: Der erste Tag sieht einen gemeinsamen Konzertbesuch für Musiker und Manager vor, am zweiten geht es dann um Parallelen zwischen den hierarchischen Strukturen und den Motivationsstrategien von Künstlerkollektiven und Unternehmen.

Höhepunkt aber ist der Moment, wenn die Manager selbst vors Orchester treten. Da können sie dann „am eigenen Leib spüren, wie Impulse richtig dosiert werden oder wie man die Balance findet zwischen Führung und Freiheit“, erklärt Schulz. Und Orchestergeschäftsführer Christian Reichart ergänzt: „So ein Test der eigenen Ausstrahlungskraft ist viel gefährlicher als die üblichen Survival-Trainings, die große Unternehmen sonst gerne buchen.“ Die Musiker machen nämlich immer nur genau das, was die Manager-Maestri ihnen vorgeben. Und das kann für den betreffenden Pult-Debütanten auch gewaltig nach hinten losgehen. Bei einem Seminar mit dem Logistikkonzern DHL stieg ein Manager, der sich eigentlich gar nicht für Klassik interessierte und auch keine Vorkenntnisse besaß, aber auch wie berauscht vom Podium – weil er mit seiner Körpersprache tatsächlich die Macht der Musik entfesselt hatte.

Die Begegnungen mit den Damen und Herren aus der Wirtschaft sehen die Mitglieder des RIAS-Jugendorchesters als spannende Nebenbeschäftigung. Vor allem lässt sich so Geld verdienen, was von nicht unerheblicher Bedeutung ist, da das Ensemble seit Beginn des Jahres 2005 keine öffentlichen Zuschüsse mehr erhält. Mühevoll hangelt sich das einstige RIAS-Vorzeigeprojekt, bei dem bislang rund 5000 Talente erste Orchestererfahrungen sammeln konnten, seitdem von Monat zu Monat. Auch das große Jubiläumsprojekt zum 60-jährigen Bestehen wurde nur möglich, weil man auf die Idee kam, gemeinsam mit dem Young Israel Philharmonic Orchestra zu feiern. Nun unterstützen die Bundesregierung und die Deutsch-Israelische Gesellschaft das Völkerverständigungsprojekt finanziell.

Die Verbindung zwischen RIAS-Jugendorchester und Israel hat Tradition: Zum 50. Gründungsjubiläum des Staates spielte das RIAS Jugendorchester gemeinsam mit Giora Feidman, und bereits 1975 waren es junge Musiker aus West-Berlin gewesen, die als erste deutsche Klassikformation überhaupt nach der Shoa nach Jerusalem reisten. Damals galt das 1948 vom „Rundfunk im amerikanischen Sektor“ gegründete Ensemble als eines der besten Jugendorchester der Welt. Nach dem Fall der Mauer riefen Studenten der beiden Musikhochschulen der wiedervereinigten Stadt den „philharmonischen Aufbruch“ aus, lebten das politische Ziel des Zusammenwachsens schon einmal in der Musik vor. Als 1994 dann der RIAS aufgelöst wurde, übernahm das Deutschlandradio zunächst das Nachwuchsorchester. Doch zehn Jahre später fiel eine Rundfunkgebührenerhöhung niedriger aus als erwartet: Da entschied der Sender, die Förderung einzustellen. Christian Reichart, der gerade erst vom Posaunistenpult auf den Sessel des Orchestergeschäftsführers gewechselt war, erfuhr von der Abwicklung in der Wartehalle des Flughafens Tegel, von wo aus er gerade mit seinen Musikerkollegen zu einer großen China-Tournee starten wollte.

Seit Januar 2005 wird das RIAS-Jugendorchester offiziell von seinem kleinen Freundeskreis unter Leitung der SPD-Kulturpolitikerin Monika Griefahn getragen. Regelmäßige Einnahmen bringt ein jährliches Mitarbeiterkonzert für die Lufthansa, zwei Jahre lang gab es zudem Fördergeld von der Deutschen Bahn, bis sich das Unternehmen entschloss, lieber Fußball zu sponsern. Immerhin verhilft der gute Ruf aus RIAS-Zeiten dem Orchester zu diversen Einladungen: Gerade haben sie bei der Kammeroper Rheinsberg Boieldieus „Weiße Dame“ gespielt, im Rahmen der „Babylon“-Ausstellung im Pergamonmuseum konnten sie die Ergebnisse eines Workshops für historische Aufführungspraxis präsentieren. Im kommenden Jahr soll das RIAS-Kammerorchester bei den „Lustigen Weibern von Windsor“ auf Schloss Weikersheim im Graben sitzen, Projekte mit der Komischen Oper und den Musikhochschulen sind geplant.

„Kooperationen sind wichtig für uns – aber ich würde wahnsinnig gerne mehr eigene Projekte initiieren“, bekennt Christian Reichart. Eigenveranstaltungen wie jetzt das Konzert zum 60. Jubiläum der israelischen Staatsgründung: Unter der Leitung des 35-jährigen Dirigenten Ariel Zuckermann stellen sich die Musiker der Herausforderung von Gustav Mahlers 1. Sinfonie. Bei der zehntägigen Probenphase in Berlin werden sie außerdem ein Werk des Komponisten Paul Ben-Haim erarbeiten, der 1897 in Deutschland geboren wurde, 1933 nach Palästina flüchtete und zu einer zentralen Persönlichkeit des israelischen Musiklebens ab 1948 wurde.

Philharmonie, 31. August, 20 Uhr

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