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Johnny Winter und seine Crew.

© promo

Konzertkritik: Johnny Winter im Kesselhaus

Ein kleines klappriges Männlein, dessen Gesang kaum zu hören ist zwischen all dem instrumentalen Gerumpel. H.P. Daniels über Johnny Winters Auftritt im Kesselhaus.

"Hallo Musikfreunde, das wird heute 'ne Wahnsinnsschoh!" verkündet ein munterer Conferencier. Komisch, dass dem Blues älterer Männer immer diese merkwürdige Biederkeit anhaftet. Und schon tost enthusiastisches Wogen und Beben durch das vorwiegend mit älteren Männern knallvolle, ausverkaufte Kesselhaus. 

Auf der Bühne stehen drei schwarzgekleidete ältere Männer und spielen erstmal Intro: Bass, Schlagzeug, Gitarre. Paul Nelson muss ganz schnell in fünf Minuten vorführen, was er draufhat auf der Fender Stratocaster, das ganze Repertoire an Tricks, Geschwindigkeit und Soloeskapaden. Bluesrockgefiedel in halsbrecherischem Tempo. Gleich darf er nur noch Stütze sein im Hintergrund für den Star des Abends: "Ladies and Gentlemen: Johnny Winter!" Mehr Jubel.

Ein kleines klappriges Männlein mit dürren Armen und Streichholzbeinen schlurft gebeugt zum Stuhl in der Bühnenmitte, setzt sich, hängt sich eine zu seiner Erscheinung passende, leichtgewichtige, fast körperlose Erlwine-Lazer-Gitarre um, und fiedelt noch ein bisschen mit rum am Intro. Noch mehr Jubel. Der kleine Mann mit dem großen schwarzen Cowboyhut, unter dem dünne weiße Haare bis über die Schultern hängen, ist die 67-jährige Blues- und Rocklegende Johnny Winter.

Seit 1959 hatte der texanische Gitarrist und Sänger in diversen Bands gespielt und Platten aufgenommen. Ende der 60er wurde er entdeckt, bekam einen hochdotierten Vertrag und machte schnell Furore mit seiner speziellen Mischung aus klassischem Blues und hartem Rock. In den 70ern gehörte Winter zu den begehrtesten Konzertattraktionen. Das amerikanische Musikmagazin "Rolling Stone" kürte ihn zur Nummer 74 der "100 Greatest Guitarists Of All Time".

Rauf und runter ging es im Leben von Johnny Winter, mit seiner Karriere und seiner Gesundheit. Schon früh war er heroinsüchtig, was seine Kreativität eine Zeitlang schwer beeinträchtigte. Er veröffentlichte bessere und mäßigere Platten. Aber an einem guten Abend konnte er immer noch die Konzertsäle zum Kochen bringen.

Heute brodelt der Saal, auch wenn Winter starr ins Leere blickt, mit gelähmter Mimik wie nach einem Schlaganfall. Ausdruckslos und leer wirken auch seine spinnenfingerigen Gitarrenläufe. Technische Routine läuft ab wie im Schlaf, wie auf Autopilot. Wie ein Radfahrer nicht das Radfahren, verlernt auch ein guter Gitarrist nicht das Gitarrespielen. Etwas wackelig ist es trotzdem. Und dann fällt er doch auf die Schnauze. Freddie Kings Instrumentalstück "Hideaway" verunglückt auf der "Bridge". An der Stelle, wo sich der Groove normalerweise auf interessante Weise wendet, bricht plötzlich der Boden weg. Ein klaffendes Loch, gähnende Leere. Winter brummelt etwas, der Schlagzeuger spielt ein kurzes Solo – gerettet, gerade noch. Neuer Versuch. Wieder Einbruch an derselben Stelle. Der Bassist spielt ein kurzes Solo - noch mal gerettet, aber hat eh keiner gemerkt. Jubel. Johnny sitzt da mit steinerner Miene.

Sein Gesang ist kaum zu hören zwischen all dem instrumentalen Gerumpel. Ein großer Sänger war Winter mit seiner gequetschten weißen Blues-Stimme allerdings auch in seinen besten Tagen nicht. Aber Kraft und Energie hatte er. Heute ist sein müdes Krächzen nur noch zu erahnen unterm Klangeröll.

Die Klassiker "Good Morning Little School Girl" und "Got My Mojo Working" lieblos runtergeschludert. Mit immer noch einer Gitarrensolo-Strophe, und noch einer, und noch einer, etwas ideenlos zusammengestückelt aus verbrauchten Bluesrock-Klischees. Da versteht man wieder nur allzu gut, warum die Punks damals so angewidert waren von all diesen nicht enden wollenden Solo-Düdeleien. 

Vor nicht allzu langer Zeit hatte Johnny Winter noch im Interview erzählt, er werde keinen Rock 'n' Roll mehr spielen, nur noch den reinen Blues. Aber jetzt spielt er doch Rock 'n' Roll: "Johnny B. Goode" lässt er melodisch völlig aus den Fugen geraten, mit derart falschen Tönen, wie man sie vielleicht gerade noch Chuck Berry selbst zubilligen würde. Der mit seinen über achtzig Jahren seinen verschrägten Songs immerhin noch eine Art Punk-Energie und augenzwinkernden Charme verleiht. 

Winter und seine Söldner-Band holtern und poltern, schlampern und schludern sich qualvoll durch den Ray-Charles-Blues "Black Jack" und dann den restlichen Abend. Bei all den vermasselten Einsätzen, den zermatschten Shuffle- und Boogie-Grooves und Riffs sehnt man sich ein bisschen nach der lässig wippenden Leichtigkeit und der lockeren Präzision der viel geschmähten aber doch so viel vergnüglicheren Status Quo. "Lone Wolf" hätten sie garantiert besser hinbekommen.

In das wie auf abgebrochenen High Heels daherstolpernde "Don't Take Advantage Of Me" baut Winter eine nette Gimme-Shelter-Stones-Passage ein, die kurz ein paar fliegende Funken aufglimmern lässt. Auch im Gitarren-Solo zu Larry Williams' Rock 'n' Roll-Klassiker "Bony Maronie" flackern noch einmal kurz Inspiration und Freude auf, wie auch schließlich im Slide-Spiel auf der Gibson Firebird zu "Dust My Broom". Die Zugabe "Highway 61 Revisited" dann allerdings derart zur Unkenntlichkeit entstellen? Das wiederum darf nur Bob Dylan selbst.

Orkanartiker Jubel während der dünne gebeugte Mann von der Bühne schlufft.

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