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Julia A. Noack.

© Philippe Petitjean

Konzertkritik: Lüüls Live Lounge im BKA-Theater

Im letzten Jahr war der Berliner Musiker Lüül 150 Tage mit seiner Band "17 Hippies" auf Tour. Mit "Tourkoller" beginnt Lüül nun eine neue Runde seiner seit vier Jahren vierteljährlich stattfindenden Kleinrevue "Lüüls Live Lounge" im BKA-Theater.

Wieder hat er sich Gäste eingeladen, die neben ihm auf der Bühne sitzen und mit ihm im Wechsel Auszüge aus ihren eigenen Programmen präsentieren. Zu seiner Linken steht Julia A. Noack auf, geht nach vorne ans Mikrofon. Sie trägt eine offene Kapuzenjacke, unter der auf einem T-Shirt riesige Buchstaben hervorleuchten: ART/UCK/USI/TOO steht dort untereinander. Dann verschwinden die Lettern unter einer großen Ovation-Gitarre, auf der die hübsche Singer/Songwriterin dunkle Akkorde schriddelschraddelt, begleitet von einem Kontrabassisten und einem Percussionisten.

"Sudden twist of the mind / Rotten thoughts that will blur my eyes" singt sie mit eindringlicher Stimme zwischen nervöser "Teenage Angst" und entrückter Engelhaftigkeit. Ihre über dem Knie zerrissenen Jeans stecken in halbhohen Stiefelchen, mit denen sie energisch auf der Stelle tritt. Spitze-Hacke, tritt sie den Takt und ein Looper-Pedal. Dass hinter dem Ende des Songs noch eine Art Sitar-Ton nachschwirrt. "Sudden Twist" stammt von Julia Noacks feinem zweiten Album "69.9". Als sie die Gitarre zur Seite nimmt, fragt man sich erneut, was das bedeuten könnte: ART/UCK/USI/TOO?

Aber schon ist die Aufmerksamkeit zu Renee Zucker gewandert. Eine schöne Idee des Gastgebers, nicht nur Musiker, sondern gelegentlich zur Abwechslung auch Autoren einzuladen. Zucker, Kolumnistin bei der Frankfurter Rundschau und beim RBB, sitzt da in einem mehrteiligen schwarzseidigen Ethnogewand und mit grauem Bob-Dylan-Wuschelkopf. Von einem Klemmbrett liest sie eine Betrachtung zum letzten Konzert von Bob Dylan: wie furchterregend alt der doch geworden sei, und dass eigentlich nicht mehr viel los sei mit ihm und seinen gealterten Fans: "welkend, doch noch nicht ganz vertrocknet." Merkwürdige Geschichte. Nicht lustig, eher ein bisschen traurig, aber auch nicht richtig traurig. Und irgendwie auch nicht erhellend. Irritierend.

Und so ist man erstmal froh um die gute Laune der nächsten Gäste: Viviane Kudo und Jo Schultz aus Osnabrück spielen raffinierten Folkjazzpop. Viviane hat für ihre 21 Jahre eine erstaunlich schöne und vielseitige Stimme, angenehm unprätentös und ohne falsche Posen. Jo Schultz, sonst auch bei der Comedy-Musiktruppe "Die Angefahrenen Schulkinder" aktiv, begleitet die junge Sängerin kongenial auf der akustischen Gitarre: jazzig, rockig, folkig.

Lüül singt ein Liebeslied. Julia Noack lässt die kryptischen T-Shirt Buchstaben wieder hinter ihrer Gitarre verschwinden, auf der sie dieses Mal feines Fingerpicking demonstriert und singt vom rätselhaften "Grizzly Girl" mit der schönen Textzeile: "Grizzly girl you're trying hard but you really have no idea how to correctly pronounce IKEA." Sie loopt ihre eigene Gitarrenbegleitung und spielt ein lustiges Pling-Plong-Kinderklavierglockenspiel dazu.

Nachdem Renee Zucker enthusiastisch bekennt, dass sie im nächsten Leben auch gerne Musikerin werden wolle, liest sie eine Reisereportage über Weihnachten in Neu Delhi. Viviane singt auch ein Liebeslied zu offenen jazzigen Gitarrenakkorden und Lüül legt eine grammatikalische Merkwürdigkeit über die Liebe nach: "Verliebt in du". "Can you help me find some kind of peace of mind to trust the ground on which I stand" singt Julia Noack im rätselhaft schönen Song "Me & the A.D." und macht wieder Spitze-Hacke mit den Stiefeln wie ein Funkenmariechen. Und tatsächlich sprühen ein paar Funken wie eine Wunderkerze.

In einer weiteren Geschichte begegnet Renee Zucker einem enttäuschend gealterten Traummann wieder, der den Zuhörer wiederum sehr an den Bob Dylan ihrer ersten Betrachtung erinnert. Überhaupt scheint ihr Thema das Altern, das Verwelken, die Vergänglichkeit zu sein. Auch in der nächsten Kolumne nimmt sie das Motiv noch einmal auf: Was ist aus den 68ern geworden, was haben die, die einst um ein besseres Leben kämpften noch zu erwarten von der Zukunft: Einsamkeit und Demenz?

"Oh Gott, diese alten Alt-68er" scheint Julia Noack zu denken, die etwas ratlos vor sich hin schaut und jetzt die Gitarre im Anschlag hält wie eine Maschinenpistole. In der Pause hat Renee zu Julia gesagt, sie erinnere sie stark an die junge Ulla Meinecke. "Gottseidank nicht an die alte Ulla Meinecke" fand jemand anderes. Bei ihrer Mutter habe sie mal eine Platte von der Meinecke gesehen, sagte Julia: "die, wo sie den Hut aufhat", aber sonst kenne sie nichts von der.

Viviane singt ein "ganz langsames Liebeslied" und Lüül macht ein bisschen gute Laune mit einem Schlechte-Laune-Lied und seinem lustigen 70er-Jahre "Minipops"-Begleitautomaten. Julia lässt sich raffiniert von Loops aus dem Looper begleiten, Renee liest über eine alternde Frau beim Klauen, Viviane singt ein trauriges Liebeslied, Lüül noch ein lustiges.

"Night falls and I can't fall asleesp", singt Julia. Renee macht sich in ihrer nächsten Geschichte lustig über die Floskel: "Da bin ich ganz bei Ihnen", um darüber wieder auf die Vergänglichkeit des Lebens zu sprechen zu kommen. Viviane und Jo jazzen nochmal wunderbar, Lüül rockt eine flotte Runde mit Jo und Julia singt zum Schluss "Leaving The Door Ajar" von ihrem ersten Album "piles & pieces". Mit großer Disziplin stapelt sie gekonnt Schichten und Fetzen von Gitarren- und Gesangssounds übereinander, sowie ganze Elfenchöre obendrauf. Im ausfädelnden Loop verbeugen sich alle Akteure auf der Bühne. Steht auf Julias T-Shirt: "ART SUCKS MUSIC TOO"? Aber das würde ja auch nicht stimmen.

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