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Konzertkritik: Malcolm Holcombe im Berlin Guitars

Blues, Folk und Country treffen sich: Knalliges Fingerpicking, das ein wenig an den alten Blues-Mann Lightnin' Hopkins erinnert, eine dunkle Melodie, ein Song und eine ergreifende Stimme.

Irritiert und wirr irrt Malcolm Holcombe auf der kleinen Bühne vom Berlin Guitars herum. Als wisse er nicht so recht, warum er eigentlich hier ist, was er hier soll. Erstmal den dicken Schal ablegen und die ulkige Wollmütze. "Uh, it's cold outside!" Aber jetzt? Was sucht er? Ach so ja: die Gitarre. Die steht hinter ihm.

Holcombe hatte kürzlich in einem Interview erzählt, dass er immer extrem nervös sei vor Publikum. Vor zwei Jahren waren es noch nicht so viele Zuhörer im Berlin Guitars, heute ist es ausverkauft. Vielleicht macht ihn das noch nervöser und auch etwas wunderlich.

Er stöpselt die edle Martin-Akustikgitarre ein, starrt auf das Stimmgerät auf dem Boden, stampft nach jeder gestimmten Saite schwer mit dem Fuß auf, stöhnt und jault. Plötzlich ist ein Rhythmus da, knalliges Fingerpicking, das ein wenig an den alten Blues-Mann Lightnin' Hopkins erinnert, eine dunkle Melodie, ein Song und eine ergreifende Stimme: tiefes heiseres Raspeln. Wo Blues und Folk und Country zusammentreffen. Sowie betörende Poesie vom einfachen, harten Leben, von gestern und von heute. Von russischen Bergarbeitern, die einst nach West Virginia kamen, von Erinnerungen, von der Liebe, von menschlichen Stärken und Schwächen. Walzertakt und Talking Blues. Melancholische Balladen und halsbrecherische Gitarrenfiguren. Knurren und Ächzen.

In seiner seit Jahren heiß geliebten Jacke aus zerschossenem, speckigen braunen Leder über einem dicken karierten Holzfällerhemd, sowie schütteren Haaren, die am Hinterkopf zu einem kleinen Zopf zusammengebunden sind, und mit einer wilden Strähne im Gesicht und dicken Koteletten wirkt Holcombe wie ein verwegener Hobo, den man sich partout nicht vorstellen könnte auf Mainstream-Veranstaltungen wie "Wetten dass?" oder der Echo-Verleihung. Nein, er macht sein eigenes Ding, jenseits von allen oberflächlichen Glitzereien und von allen falschen Fuffzigern.

Gefährlich schräg hängt der außergewöhnliche Singer/Songwriter aus North Carolina auf dem Hocker, kippelt vor und zurück wie auf einem Schaukelstuhl, zieht ein Knie hoch, mit der Gitarre fast waagerecht auf dem Oberschenkel, springt auf, dreht sich seitlich, lässt sich zurückfallen, und verpasst keinen Beat währenddessen, keinen Ton, kein Wort, keine Textzeile. Manisch schüttelt er den Kopf, rockt mit den Beinen, rollt mit den Augen. Alles um sich herum scheint er zu vergessen, das Publikum, die Beobachter, die Kritiker. Wie in Trance gerät er völlig außer sich. Oder ist er dann ganz besonders bei sich, mit sich in Einklang?

Wenn Holcombe spielt im betont rhythmischen Fingerstyle mit besonders kräftigem Daumen, wenn er singt, rauchig sanft oder bedrohlich brüllend, dann dreht er ab in seine eigene Welt. Ist man bereit, ihm dorthin zu folgen, in seine knorrig schönen Song-Storys, dann spürt man, dass hier einer der Aufregendsten seiner Zunft am Werk ist. Dass es ihm um den Ausdruck seiner Kunst geht, Musik und Poesie, um Herz und Seele, und nicht ums kommerzielle Abkochen. Das Big Business der großen Plattenfirmen ist Holcombe völlig egal.

Dass allerdings so viele Leute in den Schöneberger Gitarrenladen gekommen sind, um ihn zu hören, das freut ihn aufrichtig. Und natürlich auch, dass bei der Gelegenheit etliche neu gewonnene Fans sein exquisites neues Album "For The Mission Baby" mit nach Hause nehmen. Und vielleicht auch noch das nicht minder hörenswerte "Gamblin' House" von 2008. Malcolm Holcombe wäre es zu gönnen, dass sich sein Name und sein außerordentliches Talent noch weiter herumsprechen. Nervös machen müsste ihn das keineswegs.

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