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Max Raabe

© dpa

Max Raabe über Windsurfen: "Man steht wie auf einem Bügelbrett"

„Gevatter Tod steht mit auf dem Surfbrett“ ... dachte Max Raabe, als der Wind ihn in die Weite der Ägäis abtrieb. Doch eigentlich liebt er die flotte Fahrt, dann könnte er vor Vergnügen quieken.

Herr Raabe, ich habe gehört, Sie treiben Wassersport.

Wassersport? Ich will lieber nicht den Eindruck erwecken, ich sei Sportler.

Den Eindruck bekommt man bei Ihnen auch nicht. Das Einzige, was Sie bei Auftritten bewegen, ist Ihre linke Augenbraue. Und der Öffentlichkeit zeigen Sie sich stets wie aus dem Ei gepellt.

Ich bin froh, dass Sie das so sehen … na gut, ich bin nicht nur ein schlechter Skifahrer und ein mittelmäßiger Reiter, sondern auch ein mehr als drittklassiger Surfer.

Was reizt Sie am Windsurfen?

Mir gefällt das Reduzierte daran. Man steht wie auf einem Bügelbrett, hat das Segel in der Hand. Da ist der Wind, der einen schiebt, da sind die Wellen, die einen tragen. Und links und rechts von den Füßen jagt das Wasser vorbei. Sonst ist da nichts, weder eine Kajüte noch ein Tisch, auf dem man Kaffee servieren kann. An Land kreisen meine Gedanken immer um den Beruf oder irgendeinen Zirkus, der gerade läuft. Das passiert beim Surfen nicht. Da habe ich ganz große Glücksgefühle.

Wie hat das alles begonnen?

Das war auf Sylt. An einem Tag mit ablandigem Wind. Wir waren zu viert, zwei Freundinnen und mein Pianist. Da packte eine Surfschule bei Wenningstedt ihren Krempel aus. Die ersten zwei Stunden liegt man permanent nur im Wasser und kommt gar nicht rauf aufs Brett, aber als ich endlich Wind unter dem Segel hatte, war das toll. Ich hab das Surfen von Anfang an begriffen. Seitdem hat es mich nicht losgelassen.

Sie, der notorische Smokingträger mit dem blassen Teint, im Neoprenanzug auf hoher See?

Natürlich im Neoprenanzug, es war die Nordsee. Ich wurde zur Begeisterung der Mitreisenden zur schwarzen Presswurst.

Gibt es eine Gegend, wo Sie besonders gerne surfen?

Meine letzte ausgiebige Surffreizeit liegt schon etwas zurück, die war auf einer griechischen Insel. Im Süden ist es generell gut, dort sind keine Gummistrampler vonnöten. Ab fünf Uhr, wenn die Sonne nicht mehr so stark ist, kann man in Boxershorts auf dem Wasser stehen. Es war ein ganz fantastischer Wind, ich habe sofort ein Brett ausgeliehen, bin rausgefahren und dachte: Super, das klappt ja wieder 1a. Ich bin gefahren, gefahren, gefahren. Als ich wieder zurück wollte, war das nicht zu machen. Die Hügelkette der Insel wurde immer kleiner. Der Wind hatte mich komplett rausgeschoben, fast habe ich die Ortseingangsschilder der nächsten Insel gesehen. Ich dachte schon, Gevatter Tod steht mit auf dem Brett.

Weil Ihre Kräfte schwanden?

Ja, man hängt da ziemlich schlapp herum, versucht immer mal wieder, das Segel hochzuziehen. Doch man hat das Gefühl, kein Butterbrot mehr heben zu können. Es war heftiger Wind, das Segel lag auf dem Wasser. Ich war in absolut tadelloser Haltung …

… für die Sie auch auf der Bühne bekannt sind …

… ziemlich weit rausgekommen. Ich versuchte zu kreuzen, aber es wurde immer katastrophaler. Der Mann aus dem Rettungsboot sagte schließlich: „Wir haben uns das eine Zeit lang angesehen, aber dann dachten wir, den holen wir lieber zurück.“

Beim Windsurfen kann man sehr schnell sehr schnell werden.

Wenn ich richtig Fahrt habe, könnte ich quieken vor Vergnügen. Man hängt sich an das Segel, legt sich nach hinten und jagt da entlang. Wie schnell, weiß ich nicht. Man selber kommt sich natürlich vor wie eine Rakete, vom Land aus kann das schon langsamer aussehen. Es kann passieren, dass das Brett durch eine Böe oder eine ungünstige Welle abrupt zum Stehen kommt. Der Einzige, der dann weiterreist, ist man selbst, das heißt, man fliegt in hohem Bogen ins Wasser. Das kann sehr lustig sein, manchmal tut es weh, aber das finde ich nicht so schlimm.

Die Welt wird heimgesucht von Überschwemmungen und Tsunamis. Ist Ihnen das Element Wasser nie unheimlich?

Das erinnert mich daran, wie ich auf Barbados bei einer Freundin zu Gast war, die dort ein Sommerhäuschen hatte. Ich bin weit rausgeschwommen. Irgendwann tauchte überraschend ein großer Kopf vor mir auf, aber leider kein menschlicher. Eine Wasserschildkröte! In diesem Moment habe ich einen enormen Respekt vor dem Element empfunden. Ich machte mir bewusst, dass ich sozusagen noch im Dachausbau des Meeres war, das Haus hat aber insgesamt 18 Stockwerke, und in jedem wohnen die entsprechenden Meeresbewohner. Die Schildkröte war vielleicht so weit von mir entfernt wie Sie jetzt, Armlänge, also sehr nah. Als sie gemerkt hat, wie sehr sie mich erschreckt hat, hat sie sich dezent zurückgezogen. Ein höfliches Tier.

Windsurfen ist ein Sport aus den Sixties, man assoziiert die Beach Boys damit, eine gewisse Lässigkeit. Sie sind für Ihre Affinität zu den 20ern bekannt.

Mit den Surfern von damals kann man mich natürlich nicht im Entferntesten vergleichen. Es gibt auch Randexistenzen wie mich, die ohne einen VW-Bulli und den Beach-Boys-Habitus klarkommen. Mit Drogen habe ich sowieso keinen Vertrag, es sei denn, es handelt sich um gesellschaftlich akzeptierte Drogen.

Dem „Playboy“ haben Sie gesagt, „Bonanza“ sei der richtige Soundtrack für die Liebe. Welche Musik passt zum Surfen?

Da bleibt einem nicht mehr der Kopf für Musik, Pfeifen oder Trällern. Aber wenn ich relativ langsam fahre und kein richtiger Wind geht, da kann es sein, dass man auf dem Surfbrett steht wie an der Bushaltestelle, da passiert dann nicht viel. Ich denke auf dem Brett an alte Automobile und – je nach Tempo – an schnelle oder langsame Titel des Palast-Orchesters. „Hang loose“ und „Ich küsse Ihre Hand, Madame“, das passt natürlich nicht zusammen.Ich achte darauf, nicht abzusaufen. Oben bleiben für alle, das ist meine Devise. Also lieber nicht singen.

Kennen Sie ein gutes Mittel gegen Muskelkater?

Wenn man mit Franzbranntwein gurgelt, geht der Muskelkater sofort wieder weg. Ich finde es gut, wenn man was gemacht hat und am nächsten Tag merkt, dass man was getan hat. Das ist die Bestätigung, dass man nicht nur dagesessen hat, das ist die Fahrkartenkontrolle. Ich habe ziemlich elastische Knochen, ich hab mir noch nie was gebrochen. Ich kann Ihnen das gern vormachen, es sieht aber gar nicht gut aus.

Danke. Die „FAZ“ schrieb nach der Premiere Ihres aktuellen Konzertprogramms „Heute Nacht oder nie“ im Admiralspalast: „Max Raabe aber gleitet einfach hinein in dieses Lied, als käme er auf Schlittschuhen über die Milchstraße herbeigesegelt.“

Wenn der Schlachtensee im Winter zugefroren ist, fahre ich in der Tat Schlittschuh. Mit elastischen Knochen bietet sich das geradezu an. Mir gefällt der Schlachtensee im Sommer aber besser. Badeseen, die man mit der S-Bahn erreichen kann – das nenne ich Luxus.

Sie sind 1985 nach Berlin gekommen und mussten sofort einen der kälteren Winter ertragen.

In diesem Winter hatte es bis zu minus 28 Grad, aber ich war trotzdem der glücklichste Mensch der Welt. Ich hatte meine erste eigene Wohnung, in Neukölln oben an der Boddinstraße, zuerst an der Weise-, dann an der Weserstraße. Es war eine Einzimmerwohnung mit Ofenheizung und Innenklo, ich war regelmäßig Gast im Stadtbad Neukölln. Dafür hat die Wohnung aber auch nur 110 Mark gekostet. Da war eine ganz lange Brandmauer, ich hatte zwei dünne Außenwände ohne Fenster. Es sind immer die ersten Winter in Berlin, die am kältesten sind. Es war sogar so kalt, dass mir in der Küche die Tassen angefroren sind. Ich hatte ein Hochbett in unmittelbarer Nähe des Kachelofens. Da oben ließ es sich ganz gut aushalten.

Um ein bisschen Geld zu verdienen, mussten Sie putzen gehen.

Ich war Hausaufgang-Putzer, kein besonders ehrgeiziger. Alle Firmen haben mich nach einer Zeit vor die Tür gesetzt. Ich habe aber nie Arbeitslosengeld bezogen, sondern immer weitergemacht, bis ich einen neuen Job im Dienstleistungssektor gefunden hatte. Zu der Zeit nahm ich schon Gesangsunterricht, mein Lehrer hat mir, wenn ich keinen Job hatte, die Stunden angeschrieben. Und da kam was zusammen, weil ich so drei- bis viermal in der Woche Unterricht hatte. Blöd war nur, dass ich mit Putzmitteln gearbeitet habe, die mir richtig auf die Stimme gingen: Das war so ätzendes Zeug, mit dem man Linoleum sauber macht und das Salzsäure als Lösungsmittel enthält. Als ich musikalische Gelegenheitsjobs annehmen konnte, hab ich damit aufgehört. Wenn man wenig Miete zahlt für eine Wohnung, kann man sehr bescheiden leben.

Sie mussten Geld sparen – welche Tricks können Sie weitergeben?

Ganz wichtig: Kohle immer im Sommer bestellen. Ich habe das alte Brot zum Verfüttern aufgehoben, aber da ich nicht mehr zu Hause auf dem Bauernhof war, gab es keine Tiere. Also habe ich nach einiger Zeit das alte Brot wieder aus der Tüte rausgefingert und mit Butter und Ei in der Pfanne zu einem köstlichen Mahl verarbeitet.

Mir kommen die Tränen.

Ja, das wird mir jetzt auch zu kitschig.

Ihre Eltern waren sicher nicht erfreut, als Sie aus Ihrer Heimat Lünen in Westfalen nach Berlin aufgebrochen sind?

Insbesondere meine Mutter ist natürlich davon ausgegangen, dass ich unter die Räder komme. Aber den Gefallen habe ich niemandem getan. Als

ich dann doch studiert habe, waren die selig. So sind Eltern.

Wie sind Ihre Erinnerungen an einen typischen Sommer Ihrer Kindheit?

Wir waren meistens auf dem Hof und haben bei der Ernte geholfen oder in der Scheune im Heu gespielt. Morgens haben sie mich in kurze Lederhosen gestellt, abends haben sie mich in die Wanne gesteckt und abgeschrubbt. Das war leider nicht anders möglich.

Sie waren Messdiener …

… in der Herz-Jesu-Gemeinde. Entweder man war Kerzenträger oder hatte das Weihrauchfass zu bedienen, oder man war zuständig für das Lavabo, also die Handwaschung des Priesters, oder das Glöckchenschellen bei der Wandlung. Am lustigsten waren die Beerdigungen. Weil man da auf Teufel komm raus ernst sein musste, aber irgendeiner hat immer gekichert, was sich auf die anderen übertrug. Hochzeiten waren auch immer sehr beliebt, weil man dann vom Brautpaar Trinkgeld bekam. So gingen die Jahre dahin.

Waren Sie eher ein Kirchenlied-Mitbrummer oder ein -Schmetterer?

Bei den Kirchenliedern habe ich immer lauthals mitgesungen. Gerade bei den ganz bekannten Sachen wie „Großer Gott, wir loben dich“ oder „Fest

soll mein Taufbund immer stehen“. Da wurde aus kräftigen roten Schädeln wie auf dem Fußballfeld mitgesungen. Schade, dass es die Kirchenlieder so nicht mehr gibt, es hat immer mehr so eine Lagerfeuerliedkultur Einzug gehalten. Ostern war ich in einer Kirche, da haben sie doch tatsächlich das „Halleluja“ in einer ganz neuen komischen Melodie völlig entschärft. Die haben das total verwurstet, so kleinnotig ... Eine Messe ist was Mythisches, etwas, das man nicht erklären kann, wenn man das aber durch Lagerfeuerliedchen banalisiert, nimmt man das Überirdische da raus.

Erzählen Sie von Ihrer ersten Beichte?

Ja, das Tolle bei den Katholiken ist, dass man jederzeit seinen Kilometerzähler wieder auf null bringen kann. Ich habe vor meiner ersten Beichte extra was angestellt, das ich dann schweren Herzens vorgetragen habe. Ich war aufgeregt, weil der Pastor einen kennt.

Ein Westfale plaudert doch nichts aus, schon gar nicht ein westfälischer Priester.

Richtig, aber es hat mir schon gereicht, dass er weiß, wer ich bin. Der Westfale ist ein unerklärliches Wesen, einsilbig und erdverbunden, wie ich gehört habe, stur, aber das kann ich nicht beurteilen. In dem Westfalen geht eine Menge vor, aber er redet nicht drüber. Die Puppen tanzen lässt er auf einem Schützenfest oder einem Feuerwehrball, da geht es hoch her, und im späteren Verlauf von Beerdigungen natürlich. Erst gibt’s Streuselkuchen und dann Korn. Da steigt die Stimmung

Wenn Sie heute nach Lünen kommen, werden Sie wie ein internationaler Star empfangen?

Wenn ich nach Hause komme, bin ich des Hauses Sohn und muss nichts erklären. Ich habe ja auch einen Bruder. Da wird Wert drauf gelegt. Wenn ich in Münster oder Dortmund ein Konzert gebe, kommen die halt. Meine Eltern hatten vor kurzem Goldene Hochzeit, und da hab ich in der Kirche gesungen: das Agnus Dei. Es erzielte den gewünschten Effekt.

Auch bei Ihnen? Können Sie sich selbst rühren?

Ich habe mich aufs Lied konzentriert, wenn ich mich da meinen Gefühlen hingebe, funktioniert es nicht mehr. Ich habe dann und wann Anflüge von Rührung, aber nicht, weil ich so schön singe, sondern weil mir dann gerade was durch den Kopf geht. Wenn der Ort, an dem ich singe, besonders toll ist oder die Stimmung großartig und ich mir klarmache, was ich für ein Glück habe. Aber das ist nicht gut, weil es ablenkt. Man darf nicht durch seinen eigenen Vortrag erschüttert werden, weil dann die Wirkung bei einem selbst bleibt.

Was machen Sie nach einem solchen Erlebnis?

Ich muss an die Luft. Wenn ich lange drinnen war und dann in ein Taxi steige, werde ich unleidlich. Es kann passieren, dass ich vom Ku’damm nach Mitte laufe. Da merkt man, dass Berlin im Zentrum eine alte Stadt ist, weil die Entfernungen so klein sind. Ich gehe zur Entspannung gerne Kaffee trinken im Adlon oder auch in ranzige Kneipen – wobei gut gezapftes Bier und die Sauberkeit der Zapfanlage natürlich Voraussetzungen sind.

Wann ist für Sie Sommer in Berlin?

Sobald ich den grünen Tiergarten sehe. Ich liebe das, auf einer Wiese zu liegen, vielleicht einzunicken und bei geschlossenen Augen den Wechsel von Sonne und Schatten durch die Baumkronen zu spüren. Wenn man aufwacht und die Sonne strahlt durchs Blätterdach, ist Sommer.

Interview: Esther Kogelboom

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